Alles gut?!

Großartig, wie gut manche unserer Flüchtlinge in kaum zwei Jahren Deutsch gelernt haben. Regelmäßig kommt ein 15-jähriger Junge aus Syrien am Garten unseres Pfarrhauses vorbei.

 Pfarrer Jörg-Walter Henrich.

Pfarrer Jörg-Walter Henrich.

Foto: Gerda Knorrn-Belitz (GKB) ("TV-Upload Knorrn-Belitz"

"Alles gut?", begrüßt er unseren Hund, der ihn freundlich anblickt. "Alles gut?", diese Frage gilt einen Moment später uns, wenn wir im Garten sitzen. Ganz ehrlich, mittlerweile mag ich diese Redewendung nicht mehr. Sie klingt abgedroschen. Meist will sie keine ehrliche Antwort, sondern vielmehr ein mögliches Gespräch verhindern. So versuchen wir, dem Jungen verbindlich zu antworten und erkundigen uns auch nach dessen Befinden. Doch auch in seiner Antwort greift er schnell wieder die Worte seiner Frage auf: "Alles gut, alles gut!" Was, denke ich mittlerweile, was, wenn dieser Junge es tatsächlich so empfindet? Wenn es für ihn gar keine Floskel ist? Wenn er nach allem, das er erlebt hat - ich weiß, er hat Schlimmes mitgemacht - hier unter uns in vielen Momenten tatsächlich empfindet: Alles gut! Nach Bomben und Verfolgung, Hunger und Flucht, Sorgen und Bangen, ist er hier angekommen: Alles gut! Ganz bestimmt möchte er über manches nicht reden, doch sein Lächeln verrät, ja, er empfindet etwas von dem, das er sagt: Alles gut! Vieles im Leben dieses jungen Menschen war und ist nicht gut, es ist sogar schrecklich. Doch es gibt Momente, da berührt ihn das Empfinden eines guten, bewahrten, vielleicht sogar schönen Lebens: Alles gut! Das möchte ich von ihm lernen: Im Unvollkommenen die Spuren des Vollkommenen zu sehen. Im Augenblick des Glücks den Schmerz zu vergessen. Im Licht der Sonne nicht an die Nacht zu denken. Wie oft habe ich Grund zu sagen: Alles gut! Waren das nicht auch Gottes Worte, als er sein Werk, unsere Erde, anblickte: Alles gut! Jörg-Walter Henrich, evangelischer Pfarrer in Traben-Trarbach Kolumne Glaube im Alltag

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