Beängstigendes Gerichtsurteil

Zum Bericht "Ein Zeuge wird verurteilt" (TV vom 7. November):

Wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung wurde vom Amtsgericht Wittlich ein Zeuge des Mordgeschehens von Manderscheid zu einem halben Jahr Gefängnis auf Bewährung und 150 Stunden Arbeit verurteilt. Beim Lesen des Zeitungsberichts stellen sich mir viele Fragen. Wieso wurde dem Angeklagten, einem iranischen Mitbürger und Zeugen des Mordgeschehens, ein Pflichtverteidiger wegen Geringfügigkeit nicht zugestanden, obwohl das gefällte Urteil über ein halbes Jahr Gefängnisstrafe sowie zirka vier Wochen Arbeitsauflage lautet? Wieso spielt es angesichts des Mordgeschehens in der Nachbarwohnung eine wichtige Rolle, ob der Mordzeuge drei Mal oder wie von ihm behauptet, zehn Mal bei der Polizei angerufen hat? Schließlich wollte der Zeuge alles ihm Erdenkliche tun, um mit Hilfe der Polizei den Mord zu verhindern, der dann doch weder von ihm noch von der Polizei verhindert werden konnte. Wieso wertet das Gericht die Äußerung des Zeugen ("Schwein") trotz der extremen Schocksituation des ablaufenden Mordgeschehens als eine Beleidigung, obwohl der Zeuge ansonsten, wie vom Gericht anerkannt, der deutschen Sprache gar nicht mächtig ist? Sind die Versuche des Zeugen in dieser Notsituation, mit Hilfe der Polizei den Mord zu verhindern, nicht höher zu werten? Was ist die Motivation von Staatsanwaltschaft und Gericht, ein solches Verfahren gegen den Iraner anzustrengen und ihn zu verurteilen? Ist der Ruf der Polizei durch das Handeln des Mordzeugen tatsächlich so stark geschädigt worden, dass dieser durch die Bestrafung wiederhergestellt werden muss? Eine Folge wird sein: Als Zeuge muss man jedes Wort auf die Goldwaage legen und sich in Acht nehmen, damit man nicht selbst noch als Täter verurteilt wird! Dies widerspricht heftig dem Anliegen von Justiz und Öffentlichkeit, bei Straftaten nicht wegzusehen. Für mich ist das Wittlicher Urteil gegen den Mordzeugen von Manderscheid nicht nur fragwürdig, sondern auch beängstigend. Ich hoffe sehr, dass der verurteilte iranische Mitbürger einen Anwalt findet, der die Beseitigung der fragwürdigen Verurteilung erreichen kann. Ernst Koller, Flußbach

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