Joschka Fischer sieht edle Tropfen in Gefahr

Lange Zeit ist von Joschka Fischer nichts mehr zu sehen und zu hören gewesen. Jetzt steht der Mann ausgerechnet in einem wenig noblen China-Restaurant namens "Hot Spot" in Berlin-Charlottenburg und umklammert fest sein Weinglas - um gegen den Hochmoselübergang zu protestieren.

 Weintrinker-Protest gegen den Hochmoselübergang: Ex-Außenminister Joschka Fischer (links) diskutiert in Berlin mit dem britischen Weinkritiker Hugh Johnson. Foto: Eventpress

Weintrinker-Protest gegen den Hochmoselübergang: Ex-Außenminister Joschka Fischer (links) diskutiert in Berlin mit dem britischen Weinkritiker Hugh Johnson. Foto: Eventpress

Berlin. Man fragt sich schon, wie es einer rheinland-pfälzischen Bürgerinitiative gelingen konnte, den ehemaligen Außenminister und grünen Übervater zu diesem Chinesen zu locken. Dazu auch noch die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Renate Künast, mehrere Abgeordnete, drei weltweit anerkannte Experten, plus Kamerateams der BBC, vom ZDF und von N24. Die Antwort lautet: Wein soll durch eine gigantische Brücke (Hochmoselübergang) in Gefahr sein, und inzwischen weiß man ja, die Grünen haben es nicht nur mit der Umwelt, sondern auch mit dem Genuss.

Joschka Fischer ist schon in seiner Zeit als rot-grüner Außenminister zweifellos herumgekommen. Edle Tröpfchen sind ihm dabei serviert worden. Seine neue/alte Leibesfülle ist Beleg dafür. "Ich kenne mich gut aus", sagt er. "Ich hab viel getrunken rund um die Welt. Aber dieser Wein ist einmalig." Gemeint ist der Mosel-Riesling in seinem Glas. Beim Chinesen unweit des Ku damms erlebt man am Sonntagabend etwas Ungewöhnliches: Grünes Frontpersonal nähert sich wieder den eigenen, politischen Wurzeln an. Es geht schließlich um Bürgerproteste, um einen jahrzehntelangen Kampf von Anwohnern gegen behördlichen Starrsinn, ja, um die Zukunft einer ganzen Region. So grün waren die Grünen im Bund schon lange nicht mehr.

Eingeladen hat die Bitburger Abgeordnete Ulrike Höfken - zum Chinesen, weil ausgerechnet der in der Hauptstadt die meisten Weine von der Mosel auf der Karte hat. Fischer schmeckt es jedenfalls sehr gut.

Ab 2016 soll sie stehen, die vierspurige, 1,7 Kilometer lange und bis zu 160 Meter hohe Brücke zwischen Ürzig und Zeltingen-Rachtig (der TV berichtete). Der Kölner Dom passt locker drunter. Die Kritiker sagen, das teure "Monstrum" schlage eine Schneise durch eines der reizvollsten Moseltäler; der Bau werde auch den Wasserhaushalt der Böden und damit den Wein verändern. Und Touristen, von denen die Region lebt, schrecke die Brücke nur ab. Und weil der Prophet im eigenen Land nichts gilt, haben sich bisher vor allem ausländische Medien erbost: Drei der "Weinpäpste" dieses Planeten - Stuart Pigott, Hugh Johnson und Jancis Robinson - sind entsetzt, deshalb sind auch sie zum Chinesen gekommen. Doch jetzt hilft nur noch die bundespolitische Mobilisierung: Joschkas Aura und Renates Vehemenz. Der "Riesling als deutsches Flagschiff" müsse bewahrt werden, wettert Künast auf Deutsch und Englisch in die Mikrofone. Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) habe nicht "den Mut zu sagen, ich schütze die Region mal". Und seine designierte Herausforderin bei der Landtagswahl 2011, Julia Klöckner (CDU), gebe immer "wie Bolle damit an", dass sie Weinkönigin gewesen sei. Künast: "Soll sie doch mal sagen, was sie davon hält!"

Hendrik Hering, rheinland-pfälzischer Verkehrsminister, kann die Kritik an dem Hochmoselübergang nicht nachvollziehen. Unmittelbar unter der künftigen Brücke werde gar kein Wein mehr angebaut, sagte Hering unserer Zeitung. Die etwa 2,2 Hektar Rebflächen seien von der Straßenbauverwaltung erworben und gerodet worden. Die weltberühmten Weinlagen seien vom Hochmoselübergang nicht betroffen. Von einer Zerstörung der Lagen könne keine Rede sein. Auch als Weinbauminister könne er den Bau vertreten, sagte Hering. Und: "Ich kann den protestierenden Winzern guten Gewissens in die Augen schauen." Auch ohne neue Straßen seien die Weinbauflächen an der Mosel in den vergangenen 20 Jahren um über die Hälfte zurückgegangen. (wie)

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