"Das ist eine echte Fehlentwicklung"

Sportmediziner Thomas Hopf erklärt im Interview, warum die Behauptung "Ich bin jung und gesund, mir kann ein Schmerzmittel nichts anhaben" ein Trugschluss ist und wieso sich eine äußerst gefährliche Substanz derzeit bei Sportlern immer größerer Beliebtheit erfreut.

"Das ist eine echte Fehlentwicklung"
Foto: (g_sport

Herr Professor Hopf, wie oft haben Sie schon unter Schmerzmittel-Einsatz Sport getrieben?Thomas Hopf: Noch nie. Klar, nehme ich schon mal ein Schmerzmittel ein, wenn mir etwas wehtut, aber niemals, um Sport treiben zu können. Niko Kovac - Trainer von Fußball-Bundesligist Eintracht Frankfurt- hat kürzlich in einem Interview gesagt, ohne Schmerzmittel gehe im Profisport gar nichts. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie solche Aussagen hören?Hopf: Die Aussage ist mir bekannt. Ich muss sagen: Da ist was dran. Ich habe selbst mal einen Bundesliga-Fußballclub medizinisch betreut. Damals haben zwei Drittel der Spieler - speziell vor Auswärtsspielen - Schmerzmittel geschluckt. Eine hohe Zahl.Hopf: Es gibt Spieler, die nehmen ein bis zwei Stunden vor einem Spiel gewohnheitsmäßig etwas ein. Dafür gibt's verschiedene Gründe. Der erste ist: Dem Spieler tut schon vorher etwas weh, und er will das Spiel überstehen, ohne dass es noch schlimmer wird. Der zweite ist: Ein Spieler wirft etwas ein, weil er weiß, dass bei ihm erfahrungsgemäß nach 60 oder 70 Spielminuten Schmerzen auftreten - diese möchte er unterdrücken. Dann gibt es die dritte Gruppe: Das sind die, die nichts haben, aber daran glauben, sie würden besser spielen, wenn sie präventiv etwas schlucken. Das allerdings lässt sich in wissenschaftlichen Studien überhaupt nicht belegen. Mal weg von den Profis hin zu den Amateuren: In einer Befragung beim Bonn-Marathon 2009 haben zwei Drittel der Hobbyläufer angegeben, dass sie präventiv Schmerzmittel eingenommen haben …Hopf: Davon kann ich nur dringend abraten. Wenn ein Sportler vor dem Lauf weiß, dass ihm etwas wehtut, sollte er nicht starten. Es ist falsch, den Schmerz zu unterdrücken. Denn Schmerzmittel haben keine heilende Wirkung. Wer den Schmerz unterdrückt, läuft Gefahr, dass das Leiden nach dem Lauf noch schlimmer wird. Was passiert im Körper, wenn sich ein Sportler vor einer Höchstleistung wie einem Marathonlauf Paracetamol, Aspirin oder Ibuprofen einwirft?Hopf: Das beginnt mit dem Fehlschluss vieler Sportler, die denken: Ich bin jung und gesund, mir können diese Mittel nichts anhaben. Aber was dort übersehen wird, ist Folgendes: Während des Laufs ist der Sportler nicht mehr gesund. Das gesamte Blut wird zum Laufen gebraucht. Dadurch werden die inneren Organe minder durchblutet. Das heißt, der Körper schaltet die Organe ab, die Blutzufuhr im Magen-Darm-Bereich geht um 50 bis 60 Prozent zurück. Im Darm befindet sich allerdings der bakterienangereicherte Speisebrei - jetzt kann es sein, dass durch diese Minderdurchblutung Bakterien durch den Darm ins Innere des Körpers gelangen können. Und jetzt kommen die Schmerzmittel hinzu …Hopf: Genau, diese können die Darm-Schranke gegen Bakterien weiter herabsetzen. Wenn diese bei einem jungen Sportler während einer sportlichen Höchstleistung nun schon herabgesetzt ist, und er schluckt diese Mittel, dann können schwere Schädigungen des Magen-Darm-Traktes die Folge sein, weil Bakterien in den Körper eindringen können. Überspitzt gesagt, setzt man einem kranken Mann in diesem Fall noch chemische Bomben vor die Nase - da kann man nur den Kopf schütteln. Ist der Umgang mit Schmerzmitteln in den vergangenen Jahren laxer geworden?Hopf: Mit Sicherheit. Vor allen Dingen greifen immer mehr Menschen beim Thema Schmerzlinderung zu chemischen Maßnahmen anstatt zu physikalischen. Man kann ein geschwollenes Gelenk auch mit Pferdesalbe oder Quark-Umschlägen behandeln, aber das ist in der jungen Generation nicht mehr gängig. Wenn mir in der Sprechstunde jemand sagt, dass er Quark-Umschläge macht, dann weiß ich, ohne hinzuschauen, dass diese Person über 70 Jahre alt ist. Die traditionellen schmerzlindernden Verfahren gehen verloren, und der Run auf die medikamentösen Verfahren nimmt zu. Ist das ein gesellschaftliches Problem?Hopf: Ich denke schon. Es wird viel mehr eingeworfen als noch vor 20 Jahren. Jeder muss seinen Mann stehen in der Gesellschaft, es wird viel verlangt im Beruf, man darf nicht fehlen, da wirft man sich halt mal schnell ein Kopfschmerzmittel ein. Würde eine Rezeptpflicht für Schmerzmittel wie Paracetamol oder Ibuprofen helfen, die Menschen sensibler zu machen?Hopf: Das bringt gar nichts, denn wenn die Leute ein Medikament haben wollen, dann kriegen sie es auch, selbst wenn es rezeptpflichtig ist. Ohnehin kann man die rezeptfreien Mittel auch einfach höher dosieren, dann wirken sie genauso stark wie die rezeptpflichtigen Mittel. Wie schnell gewöhnt sich der Körper an solche Schmerzmittel, sprich: Wie schnell muss man die Dosis erhöhen, um noch die gewünschte Wirkung zu erzielen?Hopf: Süchtig machen diese Medikamente nicht. Aber es gibt Substanzgruppen, bei denen man tatsächlich eine gewisse Dosis-Steigerung benötigt, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Das heißt, wenn man unter der Woche im Training schon fünf, sechs Paracetamol nimmt …Hopf: … dann muss man - wenn ein wichtiges Spiel ansteht - schon mal eine mehr einwerfen, um eine Wirkung zu erzielen. Sehen Sie eine Tendenz dazu, dass Sportler, die Paracetamol & Co. regelmäßig einwerfen, auch eher bereit sind, zu illegalen Mitteln zu greifen?Hopf: Da müssen wir mal den Blick in die Fitnessstudios lenken: Da werden auch Paracetamol oder Ibuprofen eingeworfen, damit man am nächsten Tag wieder schmerzfrei pumpen kann. Aber im Fitnessbereich wird ein anderes, ein illegales Mittel immer mehr zum Problem: Anabolika. Das gibt's bei den Profis schon länger, aber es schwappt auch zunehmend in den Amateurbereich. Leider ist zu beobachten, dass die Substanz von immer mehr Menschen aus allen möglichen Schichten eingeworfen wird. Anabolika sind gefährlicher als die beschriebenen Schmerzmittel …Hopf: Ja, definitiv. Auch von den Langzeitschäden her, das ist sehr bedenklich. Anabolika erhält man auch nicht ohne weiteres im Laden oder in der Apotheke. Aber im Internet oder in den entsprechenden Studios und Sportnahrungs-Geschäften werden die Substanzen unter der Theke verkauft. Noch mal zurück zum Thema Schmerzmittel. Wie sieht es da mit Langzeitschäden aus, wenn ein Hobbysportler regelmäßig Paracetamol einwirft?Hopf: Es ist klar, dass die längere Einnahme dieser Medikamente zu Schäden führen kann. Man kann nicht sagen: Es dauert fünf Jahre, und dann kommt was, aber es ist zweifellos so, dass die Langzeiteinnahme Schäden an Organen hervorrufen kann. Von Fitnesstrainern ist zu hören, dass viele Hobbysportler - gerade in Vorbereitung vor Halbmarathon- oder Marathonläufen - ihre Trainingseinheiten auch bei Erkältungen nicht unterbrechen wollen, lieber mal ein Schmerzmittel zur Unterdrückung einwerfen. Was sagen Sie dazu?Hopf: Wer eine fiebrige Erkältung hat, darf überhaupt keinen Sport treiben. Es ist nicht so, dass derjenige dann womöglich nur eine Woche länger krank ist. Nein, dann drohen schwere Herzkomplikationen. Es gibt auch Fälle, in denen Hobbysportler mit einer Erkältung an den Start gingen und in der Folge verstorben sind. Damit ist nicht zu spaßen. Ein Profi-Basketballer berichtete davon, dass eine 50er Packung Ibuprofen im Team innerhalb von ein, zwei Wochen aufgebraucht sei. Was sagen Sie dazu?Hopf: Das ist eine echte Fehlentwicklung und besorgniserregend. Ist es denn überhaupt möglich, bei einer derart hohen Trainingsbelastung, wie sie im Profisport herrscht, die Einheiten so zu dosieren, dass Schmerzmittel überflüssig werden?Hopf: Das ist eine gute Frage. Ein Profi weiß natürlich, dass er ein Zeitfenster hat, in dem er seinen Sport in einem wettbewerbsfähigen Rahmen betreiben und damit Geld verdienen kann. Der wirtschaftliche Druck in diesem Bereich ist enorm. Da denken sich viele: Dann nehme ich jetzt mal für zehn Jahre diese Mittel, danach höre ich damit auf. Im reinen Amateurbereich halte ich das allerdings erst recht für unnötig. Da geht's weder um Geld noch um Existenzen, da sollte der Spaß im Vordergrund stehen. Doch was hat man für einen Spaß, wenn man von 20 bis 40 hochrangig läuft oder schwimmt, danach aber fürs restliche Leben geschädigt ist? Was würden Sie einem ambitionierten Läufer mit auf den Weg geben, der vor dem Trierer Stadtlauf im Sommer überlegt, Schmerzmittel einzuwerfen?Hopf: Vor dem Lauf etwas einzuwerfen ist definitiv Unsinn! Wenn abends nach dem Lauf etwas wehtut, kann man schon mal ein Schmerzmittel nehmen. Da ist dann auch die Organbelastung wieder zurückgegangen. Aber auch nach den Läufen sollte die Einnahme eine Ausnahme bleiben. Interview: Marek FritzenExtra: CHEFARZT BRÜDERKRANKENHAUS

(mfr) Prof. Dr. med. Thomas Hopf, 63, ist Chefarzt der Abteilung für Orthopädie im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Trier. Der gebürtige Heidelberger ist Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie, Sportmedizin, Physikalische Therapie, Rheumatologie und spezielle orthopädische Chirurgie. In seinem Team arbeiten zwölf Ärzte, die Patienten mit orthopädischen Erkrankungen ambulant oder stationär im Krankenhaus betreuen.

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