Ein Verein erwacht in den Trümmern

Mit Rudi Gores hat der SV Gerolstein einen der bekanntesten Spieler der Region hervorgebracht. Doch bis zum großen Auftritt des Ausnahmestürmers musste der Verein viel Wiederaufbauarbeit betreiben.

 Geballte Fußballgeschichte: Peter Assion, Bruno Trapp, Rudi Wirtz, Hans-Joachim Stief, Horst „Lampi“ Lamberti und Rainer Leyendecker (von links). TV-Foto: Patrick Wiermer, Foto: privat

Geballte Fußballgeschichte: Peter Assion, Bruno Trapp, Rudi Wirtz, Hans-Joachim Stief, Horst „Lampi“ Lamberti und Rainer Leyendecker (von links). TV-Foto: Patrick Wiermer, Foto: privat

Gerolstein. "Bevor der Ball überhaupt wieder rollen konnte, mussten wir mit dem Pflug den Platz an der Sarresdorfer Straße wieder herstellen. Er war übersät mit Bombenkratern." Bruno Trapp erinnert sich. Der 88-Jährige ist das älteste lebende Mitglied des SV Gerolstein, hat in den 40er Jahren als "mittlerer Läufer" in der Herrenmannschaft gespielt.

Seit 73 Jahren ist er im Verein - die Kriegszeit ist für ihn noch sehr lebendig. Nicht nur Gebäude lagen bald in Trümmern, der Nationalsozialismus hatte auch die Vereinsstrukturen zerstört. Es gab keinen Ligabetrieb; Freundschaftsspiele wurden nur mit Vereinen entlang der Bahnlinien organisiert. Und eine der Linien führte in das besetzte Belgien. Trapp war entsetzt von dem dortigen Elend. "Wir haben gegen Lüttich gespielt. Während wir genug zu essen hatten, mussten viele Belgier hungern. Da habe ich gemerkt, dass uns die Nationalsozialisten angelogen hatten. Wir wurden nicht mit offenen Armen empfangen, sondern fast gesteinigt."

Trotz Desillusion machten die Gerolsteiner Fußballer weiter. "Der Sport war eine gute Ausrede, um nicht zu den Veranstaltungen der Hitlerjugend zu gehen. Es gab für uns nur Fußball", sagt Trapp. Und nach dem Krieg, als die Besatzer alles Sportliche kontrollierten, zahlte sich der Fußball buchstäblich aus. "Nach dem Krieg haben wir von den Franzosen für ein Freundschaftsspiel eine Flûte und eine Wurst bekommen. Da haben wir uns davongestohlen."

Trotz "Flucht" vorm Trümmerschleppen: Der Wiederaufbau in Gerolstein ging voran. Einige ältere Spieler waren noch in Kriegsgefangenschaft, die Jugend durfte ran. Peter Assion (78) und Rudi Wirtz (77) profitierten von der Nachwuchsförderung, die allerdings langsam anlief. "Es war schwierig, die Leute für den Sport zu begeistern", sagt Wirtz. Mit "Kameradschaft" hielt man aber auch die Leute bei der Stange, die alles verloren hatten. "Reichere Unternehmersöhne wie ich waren in der Pflicht, den Ärmeren zu helfen. Das hieß zum Beispiel: einfach einen ausgeben." Dass die Jugend allmählich aber das Ruder übernommen hat, zeigt ein Turnier in Trier-Ehrang in der Saison 52/53, bei dem die ganze Fußballabteilung per Sonderzug anreiste. "Die erste Mannschaft hat 0:9 verloren, die zweite 0:2, nur unsere Jugendmannschaft hat mit 1:0 gewonnen", erzählt Wirtz.

Die Mannschaft verjüngte sich weiter, der neue Sportplatz am Mühlenwäldchen wurde 1960 eingeweiht - der Erfolg kam. 1963/64 sahen 2000 Zuschauer das 2:1 zum Aufstieg in die Bezirksliga - ausgerechnet auf dem Platz des SV Daun, ausgerechnet gegen Wallenborn. "Gegen diese beiden Mannschaften und gegen Prüm haben wir immer die spannendsten Duelle", sagt Horst "Lampi" Lamberti (68, von 1960 bis 1977 in den Herrenmannschaften). Für die Herren ging es allerdings nach der Saison 64/65 wieder hinab in die Kreisliga, wo sie bis auf wenige Ausnahmen bis heute spielen.

Und wieder feierte die Jugend die größeren Erfolge: Zwischen 1973 und 1977 gehörte die A-Jugend des SV Gerolstein zu den besten Nachwuchsmannschaften der Region, spielte regelmäßig vor 1000 Zuschauern - und brachte Rudi Gores hervor. "Ein Ausnahmespieler", sagt der damalige Trainer Hans-Joachim Stief. "Der hat von 50 Toren 40 Stück geschossen." 1976 wechselt Gores mit 19 Jahren zur damaligen Weltklassemannschaft Borussia Mönchengladbach, konnte sich in den ersten zwei Saisons aber nicht gegen Jupp Heynckes und Allan Simonsen durchsetzen.

Auch der Gerolsteiner Fußball geriet ins Trudeln. "Die Herrenmannschaft kann fast nie von der Jugend profitieren. Als Mittelzentrum haben wir weiterführende Schulen. Mögliche Nachwuchsspieler verlassen deshalb irgendwann die Stadt", sagt Stief. Dennoch: Auf die Jugendarbeit möchte man nie verzichten.

Der SV Gerolstein 1919

… ist seit 1937der größte Fußballclub der Brunnenstadt. Die Deutsche Jugendkraft Gerolstein wurde 1936 von den Nazis aufgelöst. … hat heute 838 Mitglieder in neun Abteilungen … reiste auch schon mal in der Stretch-Limousine zum Auswärtsspiel an. "Der Taxiunternehmer Albert ,Abbi' Zengerling hatte einen Mercedes Pullmann", erinnert sich Rainer Leyendecker, in den 70ern Spieler in der A-Jugend. "Die Gegner waren überrascht, wenn wir da mit zehn bis zwölf Mann ausstiegen."

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