Umbruch, Ausbruch, Aufbruch

Der Saisonabschluss ist mit der 1:2-Niederlage im Freundschaftsspiel gegen England in die Hose gegangen. Dennoch blicken die Verantwortlichen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft auf eine gute Saison 2008 zurück. Teils berechtigt, teils unberechtigt.

Berlin. "Wir haben das Spiel zu Recht verloren. England war die bessere Mannschaft." Knapp analysierte Bundestrainer Joachim Löw das enttäuschende 1:2 im Prestige-Duell gegen England. Im Berliner Olympiastadion ließ seine Mannschaft so ziemlich alle Tugenden vermissen - vor allem in der ersten Halbzeit. Kaum Kombinationen, viele Ballverluste, eine schlechte Raumaufteilung.

Im generellen Blick auf das Länderspiel-Jahr 2008 soll das für Löw aber nur eine Randnotiz sein: "Das Jahr war sehr positiv und spannend. Wir sind Zweiter der Europameisterschaft geworden und führen unsere Weltmeisterschafts-Qualifikationsgruppe an." Und was brachte das Jahr in der Entwicklung der Mannschaft?

Generationenwechsel: Der Wandel ist unübersehbar. Nur vier Akteure (Heiko Westermann, Per Mertesacker, Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose) standen sowohl im ersten Spiel des Jahres in Österreich als auch im letzten am Mittwoch gegen England in der Startelf. Mehrere junge Spieler wurden zwischenzeitlich integriert. Vor allem Torwart René Adler sowie die Feldspieler Westermann, Piotr Trochowski und Simon Rolfes haben sich bei dem eingeleiteten Umbruch in den Vordergrund gespielt.

Baustellen: Bundestrainer Löw will mehr Alternativen und aus festgefahrenen Strukturen ausbrechen. Auf den offensiven Außenbahnen ist das noch nicht gelungen. Trochowski und Schweinsteiger sind derzeit nahezu ohne Konkurrenz. Einzig Marko Marin klopft dort leise an die Tür. In der Innenverteidigung ist das Stamm-Duo der WM 2006 und EM 2008 mit Mertesacker und Christoph Metzelder Geschichte. Die neue Formation mit Mertesacker und Westermann muss sich noch finden - das wurde im England-Spiel erneut deutlich.

Wer drängt sich auf? Im Sturm zieht es Patrick Helmes ins Team. Gegen England untermauerte er nach seiner Einwechslung mit forschem Auftritt seine Ansprüche. Belohnt wurde er mit dem glücklichen 1:1-Ausgleichstreffer (nach Missverständnis zwischen John Terry und Torwart Scott Carson). Helmes' Teamkollege Stefan Kießling wird auch bald zeigen dürfen, was in ihm steckt. Die Aufbruchstimmung im Team wird weitergehen.

Gut Ding braucht Weile: Ohne Michael Ballack, ohne Philipp Lahm, ohne Torsten Frings - so spielte Deutschland gegen England. Gleich drei "alte Hasen" auf einmal zu ersetzen, scheint die junge Garde noch nicht zu schaffen. Sie braucht mindestens einen erfahrenen Begleiter. Schweinsteiger benötigt trotz gestiegener Wertigkeit im Zuge der EM noch Zeit, um zum "Chef" aufzusteigen.

Meinung

Löw im Spagat

Bundestrainer Joachim Löw hat in den zurückliegenden Monaten durch die Europameisterschaft und die Konflikte mit Michael Ballack und Torsten Frings an Statur gewonnen - und scheint härter durchzugreifen. Gibt es etwa seit seiner Benimm-Grundsatzrede am Montag einen neuen, milden Maulkorb-Erlass? Darauf lassen manche weichgespülten Spieler-Statements nach der Partie gegen England fast schließen. Kaum wurde es in einzelnen Gesprächen thematisch etwas heikler, blieb den Nationalkickern die Spucke weg. Schade, schade! Löw zieht trotz des EM-Vizemeister-Titels die Handbremse und sagt: Die Zeit der Erbhöfe ist vorbei. Die bisherige Hierarchie im Team bröckelt, eine neue hat sich indes noch nicht endgültig gebildet. Löws Hauptaufgabe im nächsten Jahr wird sein, einen Spagat zu meistern: Er muss das Nationalteam in einem Selbstfindungsprozess führen - und gleichzeitig in der WM-Qualifikation auf Ergebnis-Orientiertheit bedacht sein. m.blahak@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort