"Das hat mir irgendwann zum Hals rausgehangen"

Maike Hausberger ist erst 21 Jahre alt und hat bereits zwei Mal an den Paralympischen Spielen der Sportler mit Behinderung teilgenommen. Den Startplatz für Rio de Janeiro sicherte sie sich nach einer Verletzungs-Odyssee erst in letzter Minute. Im Interview mit TV-Mitarbeiter Holger Teusch spricht sie über die schwere Zeit und wie das Erlebnis London sie motiviert hat, trotz aller Rückschläge weiterzumachen.

Frau Hausberger, nach den Paralympics in London waren Sie meist verletzt, wurden operiert. Haben Sie immer daran geglaubt, dass Sie in Rio wieder mit dabei sein würden, und wann waren Sie sich sicher?
Maike Hausberger: Ich habe es gehofft, sehr gehofft, dass es klappt. Am 1. August hat mich meine Trainerin angerufen. Ich saß im Zug auf der Fahrt zum Training. Sie sagte: Maike, es ist noch nicht offiziell, aber du kannst schon mal deine Koffer packen. Am nächsten Tag sind wir direkt ins dreiwöchige Trainingslager nach Kienbaum gefahren. Vorher hatte ich es gehofft, sehr gehofft, aber richtig dran geglaubt habe ich nicht so wirklich. Das ganze Alternativtraining hat mir irgendwann zum Hals rausgehangen und gar keinen Spaß mehr gemacht. Aber es hat sich gelohnt.
Wieso hat es Ihnen zum Hals rausgehangen?
Hausberger: 2015 kurz vor dem Abi. Man hatte eine Stressphase in der Schule und ich musste das Alternativtraining allein machen. Ich habe zwei, drei Stunden auf dem Ergometer gesessen und habe die Intervalle, die ich eigentlich auf der Bahn laufen würde, auf dem Fahrrad gemacht. Da habe ich irgendwann meiner Trainerin geschrieben: Ich kann das nicht mehr! Ich will das nicht mehr! Sie hat das verstanden und gesagt: Ruh dich erst einmal aus. Mach vier Wochen Pause und dann gucken wir weiter. Über die Abizeit habe ich dann kaum trainiert, aber auch schnell gemerkt, dass es so auch nicht geht. Dass ich irgendwo den Sport brauche. Das war dann die Zeit, in der ich mir den Triathlon gesucht habe und einfach das gemacht habe, was mir einfach Spaß macht.
Man hatte den Eindruck, die Paralympics von Rio waren die stimmungsvolleren Olympischen Spiele. Wie würden Sie London und Rio vergleichen?
Hausberger: Ich sage immer London ist nicht zu toppen. Wir hatten von morgens bis abends 80 000 Leute im Stadion. Wenn ein Brite gewonnen hat, hat man dagestanden und Gänsehaut bekommen, weil 80 000 Leute die britische Nationalhymne gesungen haben. In Rio war die Tribüne an der Gegengeraden, vor der wir unseren Weitsprungwettkampf hatten, voll. Schon als wir reinkamen, wurden wir groß begrüßt. Aber wenn man sich umgedreht hat, hat man kaum Leute auf der anderen Seite des Stadions gesehen. Da kommt nicht so richtig die große Wettkampfstimmung auf. Aber insgesamt war Rio auch ein tolles Event mit der ganzen Atmosphäre im olympischen Dorf. Man lernt andere Menschen kennen. Und das macht die Paralympics aus: das große Gemeinschaftsgefühl im Dorf.
Ein vierter Platz wie bei Ihnen im Weitsprung ist immer undankbar. Haben Sie das nach der schweren Qualifikation auch so empfunden?
Hausberger: Bei den 400 Metern war es genau umgekehrt wie beim Weitsprung. Da bin ich nach dem Rennen rausgegangen und habe mir gedacht: Das war das, was ich realistischerweise erreichen konnte und es ist gut so. Aber später war ich dann total enttäuscht. Beim Weitsprung war ich erst etwas enttäuscht, weil ich doch gerne weiter gesprungen wäre, als die 4,06 Meter. Aber später habe ich dann gedacht: Hey, vierter Platz! Und war stolz.
Wie sehen Sie die Entwicklung der Leistungen, gerade in ihrer Klasse im Weitsprung?
Hausberger: Die Chinesin hat mit Weltrekord gewonnen und ist als erst Frau in der T37 über fünf Meter gesprungen. Sie ist im Wettkampf glaube ich drei Mal Weltrekord gesprungen. Das war schon ziemlich heftig. Unsere Startklasse ist an Athleten explodiert. Eigentlich ist die T37 klar definiert. Man braucht die Hemiparese. Man sieht aber Athleten, die eine Muskulatur haben, die sich an beiden Beinen nicht unterscheidet. Die haben zwar Probleme mit den Armen, aber ist das dann T37?
Blockiert man dann vielleicht vom Kopf, weil man denkt, die Konkurrentin gehört eigentlich gar nicht in den Wettkampf hinein?
Hausberger: Ich bin da jemand, der darüber gar nicht viel nachdenkt. Sowohl über so etwas, wie über Doping.
Die vergangenen vier Jahren waren sehr hart. Aber nehmen Sie etwas mit aus dieser schweren Zeit in den neuen Olympia-Zyklus?
Hausberger: Ich habe gesagt, ich habe für die nächsten zehn Jahre an Verletzungen ausgesorgt. Mindestens! Ich will mir die Motivation beibehalten. Das und Spaß am Sport ist das Wichtigste, wenn man so hart trainiert.
Hätten Sie die Motivation, bei allen Rückschlägen immer noch weiterzumachen, aufbringen können ohne das Erlebnis London?
Hausberger: Ich wusste, wie es in London war und hatte immer im Hinterkopf: Vielleicht klappt es noch irgendwie und habe weiter gemacht. teuExtra

Maike Hausberger wurde am 9. Januar 1995 geboren, aufgewachsen ist sie in Butz weiler (Kreis Trier-Saarburg). Ihre Behinderung: Hemiparese links, das heißt halbseitige spastische Lähmungserscheinungen, Startklasse T37. Verein: Postsportverein Trier. Hausberger studiert Grundschulpädagogik in Saarbrücken. Ihre Trainerin am Olympiastützpunkt Rheinland-Pfalz/Saarland ist Evi Rauball in Saarbrücken. In der saarländischen Landeshauptstadt wohnt Hausberger auch. Größte Erfolge: 5. Platz 400 Meter, 9. Platz Weitsprung Paralympics 2012, EM-Bronze 4 x 100 Meter 2014, 4. Platz Weitsprung Paralympics 2016, U23-Weltmeisterin Weitsprung 2016. teu

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