Alles nur geträumt?

Luxemburg · Eine der größten Überraschungen in der Geschichte des Luxemburger Fußballs führt den FC Progrès Niederkorn zum Coup in der Europa-League-Quali- fikation über den schottischen Rekordmeister Glasgow Rangers.

Luxemburg So ganz traute Max Watzka der Sache auch Minuten nach dem Abpfiff noch nicht: "Das ist wie in einem Traum. Ein bisschen haben wir Angst, dass uns gleich jemand aufweckt und sagt, dass alles gar nicht real ist."
Höhepunkt der Karriere? Spiel des Lebens? So weit wollte Watzka, der in der Saison 2012/13 für Eintracht Trier in der Regionalliga Südwest 29 Partien bestritt, dann für dreieinhalb Jahre zu Viktoria Berlin in die Regionalliga Nordost wechselte, ehe er im Winter bei Progrès Niederkorn anheuerte, im Vorfeld der beiden Spiele gegen die Rangers (noch) nicht gehen. Im Nachhinein musste der 31-Jährige dann aber doch eingestehen: "Das ist der Höhepunkt meiner Laufbahn. Vor knapp 50 000 Zuschauern im Hinspiel auf dem Platz zu stehen und dann auch noch gegen einen solchen Club weiterzukommen, ist schon grandios." Sehr gut sei man in die Zweikämpfe gekommen und auch am Ende konditionell voll auf der Höhe gewesen, durfte der gebürtige Leipziger am Dienstagabend zu Recht anmerken.
In der Defensive sehr konzen triert und immer wieder mutig im Spiel nach vorne agierte Niederkorn gegen allzu leidenschafts- und tempolose Schotten, die von rund 1500 unter den 5534 Zuschauern im hauptstädtischen Stadion Josy Barthel unterstützt wurden. Dass nicht mehr von der Insel zum ersten internationalen Einsatz der Rangers nach sechsjähriger Abstinenz (wegen einer Insolvenz war es zwischenzeitlich bis in die vierte Liga gegangen) gekommen waren, hatte auch mit der kurzfristigen Hotelzimmer-Not im Großherzogtum zu tun: Wegen der ebenfalls zu Wochenbeginn in Luxemburg gastierenden Tour de France hatten sogar die Uefa-Delegierten erst im 40 Kilometer entfernten Diekirch eine Bleibe gefunden.
Drei Mal trafen die Rangers nur die Latte, hatten aber andererseits keineswegs ein klares Chancenplus. So etwa hatten auch die Niederkorner bereits vor dem 1:0 in der 66. Minute durch Emmanuel Francoise (war im Anschluss an eine Ecke aus kurzer Distanz erfolgreich) ihre Möglichkeiten. Gerade 100 Sekunden waren im zweiten Durchgang absolviert, als Francoise bereits Glasgow-Keeper Wesley Foderingham zu einer Glanzparade zwang. Auch nach der Führung der Luxemburger enttäuschten die Gäste um den früheren kroatischen Nationalspieler Niko Kranjcar (32). Eine Viertelstunde vor Schluss segelte der Freistoß aus halbrechter Position von Sébastien Thill an Freund und Feind vorbei zum 2:0 ins Netz - während die sonst so sangesfreudigen Fans aus Schottland spätestens da ihren Support eingestellt hatten, zeigten die traditionell eher reservierten Zuschauer aus dem Großherzogtum ungeahnte Emotionen.
Lautstark zwar nicht, aber mit einem zufriedenen Lächeln registrierte Paul Philipp, der Präsident des Luxemburger Fußballverbandes FLF, den Niederkorner Coup, der "zwar glücklich, aber sicher nicht unverdient" gewesen sei. Für den Fußball in seinem Land sei so etwas schon "ganz besonders". Philipp relativierte aber auch ein Stück weit: "Die Rangers sind zwar kein großes Team mehr, aber ohne Zweifel unverändert eine Institution." Der 66-Jährige - selbst zwischen 1985 und 2001 Nationaltrainer - stufte den Niederkorner Coup "nicht als ganz große Überraschung" ein. Clubs aus dem Großherzogtum und die Nationalmannschaft hätten in der Vergangenheit immer wieder für gute Ergebnisse gesorgt. Der FLF-Boss reihte den Progrès-Sieg etwa in die Erfolgserlebnisse vom F91 Düdelingen (schaltete 2012 den österreichischen Meister aus Salzburg aus) und des FC 03 Differdingen (kam 2013 gegen den niederländischen Vertreter FC Utrecht weiter) ein.
Das Weiterkommen sorgt auch für einen äußerst lukrativen Zusatzverdienst für die Südluxemburger: "Durch den Einzug in die zweite Quali-Runde haben wir bereits rund eine halbe Million Euro an Prämien der Uefa sicher", strahlte Norbert Emeringer, Vorstandsmitglied beim FC Progrès und Teamkoordinator. Vor rund zwei Wochen, bei der Auslosung im schweizerischen Nyon habe er schon einen Luftsprung gemacht ("Die Rangers waren mit Abstand das attraktivste Los.") und nun habe das Team "Vereinsgeschichte geschrieben", wie er betonte. Die großen Erfolge auf nationaler Ebene liegen schon länger zurück; den letzten der drei Meistertitel holte man 1981. Und in bislang zwölf Europacup-Auftritten hatte es zuvor erst einen einzigen Treffer gegeben.
Um den Anteil des Ex-Trierers Watzka am jüngeren Aufschwung weiß auch Emeringer: "Ein wirklich guter Junge. Er ist verlässlich, pünktlich und immer freundlich. Auf dem Platz bringt er einfach seine Leistung. Wir sind froh, dass wir ihn haben."
In der zweiten Qualifikationsrunde wartet auf die Niederkorner nun aller Voraussicht nach der zypriotische Vertreter AEL Limassol, der sich im Hinspiel mit 4:0 bei St. Joseph's in Gibraltar durchgesetzt hatte und heute zum Retourmatch bittet. Die Partien finden am 13. und 20. Juli statt.Extra: ZWISCHEN SPOTT UND AGGRESSIVITÄT


(AA) Die Reaktionen auf das peinliche Erstrundenaus der Rangers in der Europa-League-Qualifkation bei Progrès Niederkorn schwankten aus britischer Sicht zwischen Aggressivität und Spott. Einige frustrierte Fans der "Gers" rissen Sitzplatzschalen im Stadion heraus und beschimpften Team und den portugiesischen Trainer Pedro Caixinha auf das Übelste. Gary Lineker - als Engländer freilich auch ein bisschen befangen - twitterte, dass Niederkorn gemäß seiner Abschlussplatzierung 2016/17 nicht mal der beste, sondern nur der viertbeste Club in Luxemburg sei.

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