Der Überlebenskampf im deutschen Profiradsport wird nicht leichter

Trier · Jetzt ist sie raus, die große Doping-Beichte von Radsport-Ikone Lance Armstrong. Wie wirkt das Schuldeingeständnis auf junge, ambitionierte Fahrer? Einer von ihnen ist der Trierer André Benoit. Der 23-jährige Bundesliga-Fahrer hat sich inzwischen von manchen Visionen verabschiedet.

 „Dem Radsport droht der Kollaps“ – so titelte der Trierische Volksfreund am 16. Januar. Der Trierer Rennfahrer André Benoit (23) blickt mit gemischten Gefühlen nach vorne. TV-Foto: Mirko Blahak

„Dem Radsport droht der Kollaps“ – so titelte der Trierische Volksfreund am 16. Januar. Der Trierer Rennfahrer André Benoit (23) blickt mit gemischten Gefühlen nach vorne. TV-Foto: Mirko Blahak

Trier. Wie Millionen andere Radsportbegeisterte saß er damals am Fernsehbildschirm. Gebannt verfolgte André Benoit, wie sich Lance Armstrong, Jan Ullrich und Iban Mayo bei der Tour de France in den Bergen gegenseitig belauerten und an den steilen Anstiegen gnadenlos beharkten. "Diese Bilder, diese Szenen vergisst man nicht", sagt Benoit. Auch jetzt nicht, zehn Jahre danach. Doch die Bestätigung Armstrongs, damals gedopt zu haben, hinterlässt Spuren. "Er hat beschissen. Das ist nicht in Ordnung", sagt Benoit.
Der 23-Jährige lebt noch im Elternhaus in Trier-Irsch. Im Keller gräbt er Armstrongs Buch "Tour des Lebens" aus dem Jahr 2002 aus. In ihm beschreibt der Amerikaner, wie er seine Hodenkrebserkrankung besiegt hat. Benoit hat es gelesen, obwohl Armstrong nicht sein Vorbild war.
Durch Armstrongs Doping-Geständnis befürchten manche Beobachter nun den Kollaps des Profiradsports. Für Benoit ist solch ein Szenario nicht ganz von der Hand zu weisen, auch wenn dem Amerikaner dafür keineswegs alleine die Schuld zuzuschreiben sei: "In Deutschland muss der Profiradsport schon etwas länger ums Überleben kämpfen." Das spürt Benoit am eigenen Leib. "In Deutschland sind in letzter Zeit einige Rennen weggefallen. Als großes Etappenrennen gibt es nur noch die Bayern-Rundfahrt. Auch die Zahl der Teams ist zurückgegangen. Für ambitionierte Fahrer wird es schwerer, auf dem Weg nach oben in einem Rennstall unterzukommen."
Hoffnung auf die zweite Liga


Benoit hatte den Traum, als Profi Geld mit dem Radsport zu verdienen. "Ganz abschreiben muss ich das vielleicht nicht. Aber die Chancen, dass es klappt, stehen nur noch 50:50." Benoit ist 23 Jahre alt, als perfektes Radsport alter gilt die Spanne zwischen 26 und 28 Jahren. 2013 fährt er für das nordrhein-westfälische Continental-Team "Quantec-Indeland". Continental-Teams gelten als dritte Liga im Profiradsport. Benoits Hoffnung ist, noch den Sprung in die zweite Liga zu schaffen, also in ein Pro-Continental-Team. Parallel legt der ehemalige Jugendfahrer des RV Schwalbe Trier die Grundlagen für seinen späteren Beruf. An der Universität Trier hat er ein Lehramtsstudium (Geografie, Sozialkunde) begonnen.
Pro Tag trainiert Benoit zwei bis fünf Stunden, im Jahr kommt ein Trainingspensum von 20 000 bis 25 000 Kilometer im Sattel zusammen. Auf den Radwegen der Region muss er sich manche Bemerkung anhören: "Ey, fahr mal langsamer, dope weniger", wurde ihm schon nachgerufen. "Manchmal habe ich meinen Senf dazugegeben. Inzwischen lache ich mehr darüber", sagt Benoit, der beteuert, nicht für Doping empfänglich zu sein.
Auch er muss sich Dopingkontrollen stellen. Bei Rennen. Und auch zu Hause: "Im April 2012 standen Kontrolleure der Nationalen Anti-Doping-Agentur morgens um 9.30 Uhr bei uns zu Hause zu einer unangemeldeten Trainingskontrolle an der Tür."
Benoit befürwortet das dichter gewordene Kontrollnetz. Gleichzeitig kritisiert er, dass Radrennfahrer in der Öffentlichkeit zuweilen in Sippenhaft genommen werden: "Ich versuche, mir die Diskussionen nicht so zu Herzen zu nehmen. Sonst macht der Sport irgendwann keinen Spaß mehr. Aber ich habe mir schon manchmal gedacht: Wofür machst Du das?"Extra

Reaktion: Norbert Krewer, Vorsitzender des Radsportverbands Rheinland, reagiert relativ gelassen auf das Doping-Geständnis von Lance Armstrong: "Ich denke nicht, dass jetzt der große Knall kommt. Die große Doping-Problematik früherer Jahre ist bereits durch Fälle bei den ehemaligen Teams Telekom und Gerolsteiner bekannt geworden." Dass nun Geldgeber bei Amateurrennen abspringen, will Krewer in Einzelfällen nicht ausschließen. Einen kollektiven Rückzug befürchtet er aber nicht: "Wenn jemand für eine Rennserie 3000 Euro gibt, ist das für uns schon ein Großsponsor. Wir leben von vielen kleinen Sponsoren, die vornehmlich die Vereine als solche unterstützen." Heißt plakativ: Die Bäckerei von nebenan wird ihre 100-Euro-Spende für Pokale eines lokalen Rennens nicht zurückziehen, weil Lance Armstrong gedopt hat. bl

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