Der Zirkus auf zwei Rädern

Das Thema Tour de France ist für die Stadt Trier zwar für nächstes Jahr, aber noch nicht endgültig gegessen. Deshalb lohnt ein Blick hinter die Kulissen, falls die "Große Schleife" doch noch irgendwann in Deutschlands ältester Stadt für einen Tag und eine Nacht aufschlagen wird.

Trier. TV-Mitarbeiter Jürgen C. Braun begleitet die Tour de France regelmäßig seit 1998. Er wird im nächsten Jahr seine 20. Tour als Berichterstatter bestreiten. Hier schildert er, neben vielen Zahlen, Daten und Fakten, seine ganz persönlichen Eindrücke und Erlebnisse aus 20 Jahren Tour de France. Ein Blick hinter die Kulissen dessen, was es bedeutet, den ultimativen Größenwahn in organisatorischer und medialer Sicht miterleben zu dürfen. Oder zu müssen. Je nach Blickwinkel.

Die Tour in Zahlen: Die Tour ist in 21 Etappen unterteilt, dazu kommen zwei Ruhetage. Schlussetappe ist traditionell das letzte Teilstück an einem Sonntag auf der Prachtstraße von Paris, den "Champs Élysées". Zugelassen sind 22 Teams à neun Fahrer, also 198 Profi-Radfahrer. Veranstalter des dreiwöchigen Rennens, das über rund 3500 Kilometer geht, ist die A. S. O., die "Amaury Sports Organisation", ein französisches Unternehmen mit Sitz in Issy-les-Moulineaux im Departement Hauts-de-Seine.

Wonach wird ein Etappenort ausgesucht? Die A.S.O meidet (mit Ausnahme von Paris oder zum Start, dem "grand départ") Millionenstädte. Grund ist der Verkehr in den Ballungszentren, die Organisation befürchtet Chaos. Ebenso werden, wenn möglich, kleine Kommunen ausgespart, weil es dort und im Umland an Infrastruktur hapert.

Was muss ein Etappenort logistisch bewältigen? Der gesamte Tross umfasst rund 600 Fahrzeuge, darunter Mannschaftsbusse, Teamfahrzeuge, Organisatoren, Motorräder der französischen Polizei und Begleitfahrzeuge der die Tour begleitenden Journalisten. Für die Zeit nach der Etappen-Ankunft, meist am späten Nachmittag, muss ein Pressezentrum für 700 - 800 Journalisten aus aller Welt zur Verfügung stehen. Für Trier böte sich die Arena oder der Europapark an, wo das Pressezentrum der WM-Rallye war. Insgesamt gehören etwa 5000 Personen zum täglichen Personal-Aufwand.

Der Zirkus vor dem Zirkus: Ein Tour-spezifisches Merkmal ist die Werbekarawane, die sogenannte "caravane publicitaire". Das ist ein bunter, lauter Lindwurm aus aufgebretzelten Fahrzeugen, auf denen die Tour-Sponsoren für ihre Produkte werben dürfen. Die "Public", wie sie im Tour-Dunstkreis genannt wird, ist zwei Stunden vor dem Hauptfeld unterwegs und nimmt den gleichen Verlauf wie die sportliche Tages-Etappe.

Wie würde Trier an diesem Tag aussehen? An diesem Tag würde Trier fast nirgendwo so sein, wie man die Stadt kennt. Abgesehen von allerhöchsten Sicherheitsvorkehrungen, die bereits Monate zuvor mit lokalen Behörden und dem Veranstalter bis ins Kleinste vorbereitet werden, werden kilometerlange Umleitungen und Gitter-Absperrungen für die Zielankunft das Stadtbild bestimmen. Die großen Straßen, etwa Theodor-Heuss-Allee oder Paulinstraße, werden gesperrt sein, um die riesigen Teambusse und die Begleitfahrzeuge aufzunehmen, bevor diese zu ihren Hotels fahren. Mobiler Individualverkehr wird im Kern der Stadt an diesem Tag - wenn überhaupt - nur sehr eingeschränkt möglich sein. Ein Etappenziel Trier würde an diesem Tag einige Zehntausend Besucher aufnehmen müssen. In der Region werden es an der Strecke Hunderttausende sein. Vor allem aber Millionen an den Fernseh-Bildschirmen.

Die "Hitparade" der ungewöhnlichsten Etappenorte: Gemein ist allen die ungeheuer große Liebe und Hingabe bei der Dokumentation ihrer Verbundenheit zur Tour. In Frankreich sind das die "villes et villages fleuris". Größere und kleinere Orte, die sich mit ideenreichem Blumenschmuck und Besonderheiten der Region präsentieren. Ganz oben auf meiner Liste der schönsten Etappenziele steht Bourg d'Oisans. Ein kleiner malerischer Alpen-Ort, von wo aus es am nächsten Tag nach L'Alpe d'Huez hinaufgeht. Dort ist das sogenannte "Village", in dem sich Bauern, Winzer und Handwerker der Region präsentieren, an einem malerischen, kleinen Flussbett untergebracht. Unvergessen wird mir auch eine Zielankunft auf dem Plateau de Beille in den Pyrenäen bleiben, wo es an einer Location für das Pressezentrum mangelte. Kurzerhand hatten der örtliche Geistliche und viele seiner Schäfchen in der Kirche des Ortes die Bänke entfernt. Zwei Tage zuvor waren die Techniker angereist, und nach dem Etappenziel fanden wir 700 Journalisten unser Pressezentrum vor: in der leer geräumten Kirche.
Ein Erlebnis ist auch La Toussuire, wo das Ziel auf über 1700 Meter Höhe liegt. Ein kleines verwinkeltes, verwunschenes Örtchen, in dem Fahrer von Bussen, Teams, Medien und Krädern am Rande des nervlichen Zusammenbruchs um jeden Zentimeter Platz kämpfen. Besonders "schnuckelig" ist das Pressezentrum. Es wird in der örtlichen Eissporthalle eingerichtet. Man sitzt quasi auf dem Eis und kann nur hoffen, dass die darüber gelegten Holzpaletten das Ihre zur einigermaßen wahrnehmbaren Dämmung der Temperaturen tun. Wie auch immer: Die Tour ist überall ein einschneidendes und einmaliges Erlebnis. Sie würde es auch für Trier sein.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort