Entwickeln, nicht behandeln

Köln · Der TV hat den langjährigen Wahl-Trierer Carsten Schiel in Köln besucht: Seit 2016 leitet der Sport-Psychologe das FC-Nachwuchsleistungszentrum. Warum er dagegen ist, zweite Mannschaften vom Spielbetrieb abzumelden.

 Neuer Arbeitsplatz: Geißbockheim. Carsten Schiel ist seit dieser Saison einer der beiden Leiter des Nachwuchsleistungszentrums beim 1. FC Köln. TV-Foto: Andreas Feichtner

Neuer Arbeitsplatz: Geißbockheim. Carsten Schiel ist seit dieser Saison einer der beiden Leiter des Nachwuchsleistungszentrums beim 1. FC Köln. TV-Foto: Andreas Feichtner

Foto: (g_sport

Köln Eine Doppelspitze bei der Talentausbildung? Gute Idee! Davon ist seit kurzem auch Rekordmeister Bayern München überzeugt. Vor wenigen Wochen wurden dort Hermann "Tiger" Gerland und Jochen Sauer als neue Leiter des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ) vorgestellt, als Nachfolger des früheren Nationalspielers Wolfgang Dremmler. Okay - vielleicht ist der 1. FC Köln nicht das einzige, leuchtende Vorbild für die Bayern. Aber am Geißbockheim gibt's die gleichberechtigte Doppelspitze schon seit dem vergangenen Jahr. FC-Sportdirektor Jörg Jakobs, gebürtiger Trierer, hat den konsequenten Umbau der Nachwuchsabteilung forciert: Daniel Meyer ist für den sportlichen Teil zuständig, Carsten Schiel für alles andere. Mit seiner umfangreichen Kooperation mit der Sporthochschule Köln und einem breit angelegten Betreuungskonzept für die Talente gehört der FC zu den ersten Adressen bei der Nachwuchsförderung. Jakobs ist mit der Lösung bisher sehr zufrieden, sagte er dem "Geißbockblog".
Und auch Carsten Schiel hat sich gut am Rhein eingelebt: "Das ist eine spannende Konstellation, eine richtig innovative Geschichte", sagt der Sport-Psychologe beim Treffen mit dem TV. Bei anderen Bundesligisten sei diese Kombination so nicht zu finden. "Es macht deutlich, dass für die Entwicklung von Fußballtalenten nicht nur sportliche Faktoren eine Rolle spielen."
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Carsten Schiel? Auch er ist in der Region Trier bestens bekannt. Geboren wurde der 45-Jährige in München, aufgewachsen ist er in Hamburg, aber über sein halbes Leben hat er seit den frühen Neunzigern an der Mosel verbracht. Nach dem Psychologie-Studium an der Uni ist er geblieben. Denn auch fußballerisch hatte sich der Stürmer, damals auch unter dem Spitznamen "Lachs" bekannt, schnell in Trier eingelebt. Etwa beim VfL, mit dem er in den 90ern in die damals viertklassige Oberliga aufgestiegen - es war ein Höhepunkt der Clubgeschichte. Später spielte Schiel für Salmrohr und Eintracht Trier auch in der Regionalliga ("Paul Linz hatte mich damals aus der zweiten Mannschaft hochgezogen"), zum Karriereende in Luxemburg und Olewig. Aber die größere Fußballkarriere macht er abseits des Platzes. "Mein Bezug zum Sportgerät war nicht so groß. Das musste ich kompensieren, indem ich viel gelaufen bin", so schätzt es Schiel selbst ein. "In der Oberliga habe ich das gut hinbekommen - aber die Regionalliga war dann doch ein großer Schritt. Man muss wissen, wo seine Stärken liegen." Das trifft seine Arbeit beim FC recht genau: Es geht nicht nur darum, Fußballer zu entwickeln, sondern Persönlichkeiten. Menschen, die wissen, was sie können - und woran sie noch arbeiten sollten.
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Schiel bezeichnet sich selbst als halben "Quereinsteiger" im neuen Führungsjob. Trotz seiner Qualifikationen als erfahrener Sport-Psychologe, der selbst mehr als nur passabel kickte und der zwei Olympia-Teilnahmen in Peking 2008 und London 2012 vorweisen kann - er war als Team-Psychologe beim Hockey- und beim Tischtennisverband. Aber als Leiter des Nachwuchsleistungszentrums mit rund 250 Spielern von der U8 bis zur U21 ist Schiel eben nicht nur als Psychologe gefragt. "Das NLZ ist ein kleines Unternehmen mit 30 Festangestellten und vielen Honorarkräften. Da sind meine Aufgaben ganz vielfältig. Dazu gehört: steuern, kontrollieren, entscheiden." Wirklich kennengelernt haben sich Sportdirektor Jakobs und NLZ-Leiter Schiel nicht in Trier, wie man erwarten könnte, sondern erst in Köln. "Ich kannte Jörg Jakobs nicht persönlich. Wir haben auch nie gegeneinander gespielt", sagt Schiel. "Erst später haben wir festgestellt, dass es im Bekanntenkreis einige Überschneidungen gibt."
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Schiel hält nichts von der aktuellen Entwicklung, dass Bundesligisten ihre U21- oder U23-Mannschaften abmelden. "Das ist zu kurz gedacht. Es gibt einige Entwicklungsfenster, die mit 17, 18 Jahren noch nicht abgeschlossen sind. Wir wollen einerseits die Anzahl der Spieler erhöhen, die wir an Profi-Fußball heranführen, aber andererseits auch nicht diejenigen aus den Augen verlieren, die es nicht schaffen." Die Vorstellung sei: "Wir müssen so ausbilden und entwickeln, dass auch diejenigen, die keinen Profivertrag bekommen sollten, sagen: ,Die Zeit beim FC hat mich weitergebracht, ich habe Kompetenzen erworben, die mir weiterhelfen und ich bereue nicht, den Weg gewählt zu haben.'"
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Psychologen seien nicht nur da, um Störungen zu behandeln, sagt Schiel, der zu Beginn mit seiner Familie von Kasel nach Köln gezogen ist. "Eine typische sportpsychologische Frage ist: Wie kann ich Leistung optimieren? Als ich gespielt habe, gab es das in der Form nicht. "
Erst in der jüngeren Vergangenheit sei das Bewusstsein entstanden, dass auch der Kopf mitspielt und auch die Grundfertigkeiten mitgeschult werden können: "Wie gut kann ich mich konzentrieren? Wie gut fokussieren? Was ist mit meiner Motivation? Wie gehe ich mit Widerständen oder mit Stress um? Das sind ganz fußballspezifische Fragen", sagt er - und nennt ein Beispiel: den Trainingsweltmeister. "Wenn jemand im Training alles weghaut und im Spiel nicht richtig reinkommt und seine Leistung nicht abrufen kann, dann suchen wir nach Gründen auf unterschiedlichen Ebenen."
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Sportpsychologisch war auch mal Schiels Ex-Verein Eintracht Trier kurzzeitig weit vorne dabei, zu alten Zeiten in der zweiten Liga. Das liegt allerdings fast schon vier Jahrzehnte zurück. "Damals hatte die Eintracht mit dem Psychologen Uli Kuhl zusammengearbeitet. Er hatte in Einzelarbeit mit Spielern und Kleingruppen herausgearbeitet, dass alle am gleichen taktischen Konzept festhalten. Das muss gut funktioniert haben. Vorher hatten sich die Führungsspieler in Drucksituationen auf dem Platz unterschiedlich verhalten. Die einen haben auf Ballbesitz gespielt, die anderen 'hurra nach vorne' - und das hat halt nicht gepasst." Dass Eintracht Trier nach einem sensationellen Lauf zwischenzeitlich Bundesliga-Aufstiegschancen eingeräumt wurden (vor allem nach einem 4:0 gegen den späteren Aufsteiger Darmstadt), das wird auch Kuhl zugeschrieben. Die Geschichte kennt Schiel natürlich nicht aus einem Sportpsychologie-Lehrbuch - der kleine Praxis-Tipp stammt vom früheren Eintracht-Stürmer Lothar Leiendecker. "Mit ihm habe ich noch beim VfL Trier in der Traditionsmannschaft zusammengespielt."
DAS NACHWUCHSLEISTUNGS- ZENTRUM DES FC


Köln

Extra

Köln (AF) Das Nachwuchsleistungszentrum des 1. FC Köln: Zum Trainerstab der Junioren gehören auch einige bekannte Ex-Profis, darunter Patrick Helmes (U21), Carsten Cullmann (Trainer U15), Kevin McKenna (Co-Trainer U19) oder Markus Daun (Trainer U17). Bis zum April 2016 war Frank Schaefer (2012 auch Trainer der FC-Profis) Leiter des NLZ. Aus dem Kölner Nachwuchs schafften es zuletzt unter anderem Timo Horn, Yannick Gerhardt und Jonas Hector in die Bundesliga.

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