Goldene Erinnerungen

Leverkusen · Heide Rosendahl war das "Gesicht" der Olympischen Spiele 1972. Am Dienstag wird die frühere Top-Leichtathletin 70 Jahre alt.


Leverkusen (dpa) Interesse ja, Faszination nein: Heide Ecker-Rosendahl ist nach den Doping-Skandalen nicht mehr sonderlich begeistert von der Leichtathletik. "Wenn ich an die Olympischen Spiele in Rio denke: Die Ergebnisse habe ich mir angeschaut, aber es kribbelte nicht mehr so", sagt die Doppel-Olympiasiegerin von 1972 kurz vor ihrem 70. Geburtstag. "Es hat etwas mit der Glaubwürdigkeit dessen zu tun, was man sieht."
Dass Russland als Folge des aufgedeckten systematischen Dopings und wegen des noch immer gebremsten Reformeifers auch von der WM im August in London ausgeschlossen bleibt, findet ihre Zustimmung. "Da sind die Russen selber schuld. Sie lernen nicht und glauben, der Rest der Welt macht es genauso", sagt sie und erwartet keinen schnellen Mentalitätswandel. "So etwas dauert ein Jahrzehnt, wenn nicht zwei", meinte die Diplom-Sportlehrerin aus Leverkusen. "Ob man die Russen so lange aussperrt, ist eine andere Geschichte. Aber man sollte auf jeden Fall auf die nächste Generation warten."
Bei den Sommerspielen vor fast 45 Jahren in München wurde Heide Rosendahl zu einer deutschen Sport-Heldin und zum "Gesicht der Spiele". Sie siegte im Weitsprung mit 6,78 Meter und holte für den Olympia-Gastgeber nach sechs Wettkampftagen die erste Goldmedaille. Zwei Tage später gewann das Mädchen mit den roten Ringelsocken und der Nickelbrille Silber im Fünfkampf - kurz bevor der Anschlag palästinensischer Terroristen auf die Mannschaft Israels die Welt schockte und die Spiele erschütterte.
"Ein Attentat hatte damals nicht die gleiche Bedeutung wie heute. Damals war es etwas Unbegreifliches, etwas bis dahin Einmaliges in der Sportgeschichte", sagt Rosendahl. "Man war in der Sportfamilie entsetzt, dass man uns so etwas angetan hatte." Bei dem Terrorakt kamen 17 Menschen ums Leben.
Dennoch entschied Avery Brundage, der damalige Präsident des Internationalen Olympischen Komitees: "The Games must go on". Richtig? "Ja, das war die richtige Entscheidung", betont Rosendahl. Auch sie machte weiter und holte als Schlussläuferin zusammen mit Christiane Kraus, Ingrid Mickler sowie Annegret Richter in Weltrekordzeit (42,81 Sekunden) noch einmal Gold über 4x100 Meter. Dass es seitdem keine olympischen Heimspiele mehr in Deutschland gab und die Bewerbungen von Berlin, Leipzig, München und Hamburg auch am Widerstand der Bevölkerung scheiterten, findet sie schade. "München war schon etwas Besonderes, vor allem, wenn man auch andere Spiele erlebt hat", meint Rosendahl. "Die Münchner standen voll hinter den Spielen. Das war eine schöne Geschichte."
Rosendahl, die sich für die Olympia-Bewerbung von Düsseldorf für 2012 engagiert hatte, sieht eine Kandidatur jedoch auch kritisch. "Wer sich so etwas antun will, hat einiges vor der Brust", sagt sie. Die Rio-Spiele 2016 mit vielen leeren Stadien hätten die Probleme offengelegt. Und als sie ihre Kritik in Interviews äußerte, meldete sich das IOC bei ihr. "Wir hatten einen freundschaftlichen Austausch, aber ich habe gesagt, dass es mir nicht gefällt", berichtet Rosendahl.
Damit eine deutsche Olympia-Bewerbung von den Menschen in Deutschland akzeptiert wird, müsste sich grundsätzlich etwas ändern. "Wenn der Sportler und die Wettkämpfe wieder im Vordergrund stehen, ist auch Deutschland schnell bereit für Olympia", sagt Rosendahl. Dazu müsste auch über eine Beschränkung der Sportarten und Disziplinen nachgedacht werden: "Es gibt zu viele Olympiasieger, die kennt man ja gar nicht mehr. Das ist doch schade." Auch die Leichtathletik sei zu aufgebläht. Von den 46 Disziplinen sollte man 20 streichen. Manche Disziplinen müssten nicht mehr sein. Nichts dagegen hätte Rosendahl aber, wenn die Frauen wie die Männer statt Sieben- auch Zehnkampf betreiben würden. "Ich hätte gern Zehnkampf gemacht. Und ich denke, Frauen können es."
Für sie waren die Spiele von München 1972 ein wichtiger Markstein ihres Lebens. "Es gab glückliche Momente, aber die Prioritäten sollte man in der richtigen Reihenfolge lassen. Deshalb würde ich auch 1972 nicht als mein Glücksjahr bezeichnen", sagt sie. "Es war alles schön, aber da sind andere Dinge wie Familie, die kommen zuerst."

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