"Vielleicht erleben wir die Tour bald in Deutschland"

Düsseldorf · Der Radsport gewinnt in Deutschland wieder an Ansehen. Die 102. Tour de France, die am Samstag in Utrecht startet, genießt dank deutscher Erfolge und des Wiedereinstiegs der ARD größere Aufmerksamkeit als zuletzt. Ein Gespräch mit Rudolf Scharping (67), dem Präsidenten des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR).

 Das waren noch Zeiten: 1996 beklatscht Rudolf Scharping (rechts) auf der Treppe des Rathauses in Bonn als Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion die Profis Erik Zabel (Mitte) und Bjarne Riis nach ihren Erfolgen bei der Tour de France. Zabel wurde bester Sprinter, Rijs Gesamtsieger. Foto: Dpa

Das waren noch Zeiten: 1996 beklatscht Rudolf Scharping (rechts) auf der Treppe des Rathauses in Bonn als Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion die Profis Erik Zabel (Mitte) und Bjarne Riis nach ihren Erfolgen bei der Tour de France. Zabel wurde bester Sprinter, Rijs Gesamtsieger. Foto: Dpa

Foto: Roland Scheidemann (g_sport

Düsseldorf. In seine Vorfreude mischt sich Skepsis: Rudolf Scharping kritisiert im Interview vor dem Tour-Start das Verhalten des Teams Astana. Herr Scharping, was trauen Sie den deutschen Spitzenfahrern bei der Tour de France zu?Scharping: John Degenkolb kann Etappen gewinnen, möglicherweise hat er auch eine Chance auf das Grüne Trikot. Tony Martin hat bewiesen, was er im Zeitfahren leisten kann. Vielleich gelingt es ihm, gleich zu Beginn in Utrecht das Gelbe Trikot zu erobern und es länger als einen Tag zu behalten. Andre Greipel ist auch ein Mann für Etappensiege. Gibt es in absehbarer Zeit wieder einen deutschen Rennfahrer, der im Gesamtklassement der Tour de France nach ganz vorn fahren kann?Scharping: Im Nachwuchs sind wir gut aufgestellt. Ob daraus ein Klassementfahrer hervorgeht, weiß ich nicht. Es ist schön, wenn man so einen Fahrer hat. Ich halte es aber für falsch, sich allein darauf zu fokussieren. Ich kenne wenige Radsportverbände, die so breit und so gut aufgestellt sind wie wir. Bei Nikias Arndt, der gut durch den Giro d'Italia gekommen ist, sieht man das Potenzial eines Klassementfahrers. Auch Emanuel Buchmann, der überraschend Deutscher Meister wurde, wird künftig zu beachten sein. Immer wenn es einen deutschen Klassementfahrer gab - ob er nun Didi Thurau oder Jan Ullrich hieß - war die Aufmerksamkeit für den Radsport besonders hoch.Scharping: Wenn jemand so herausragende Leistungen wie unsere "Fantastischen Vier" - Marcel Kittel, Degenkolb, Greipel, Martin - zeigt, so findet das schon seine Resonanz, auch wenn es nicht um den Gesamtsieg bei einer Rundfahrt geht. Das sieht man auch daran, dass die ARD wieder zur Berichterstattung zurückkehrt. Wie wichtig ist es, dass die ARD wieder überträgt? Die Radsportfans waren ja bei Eurosport stets gut versorgt.Scharping: Dafür muss man Eurosport danken. Die Übertragungen in der ARD sprechen ein breiteres Publikum an. Der Wiedereinstieg ist ein Stück Normalisierung. Der deutsche Radsport gehört schließlich zu den zuverlässigsten Medaillenlieferanten bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. Dass die öffentliche Aufmerksamkeit eine Zeit lang vollständig vom Thema Doping dominiert war, war begründet. Ob es in dem Umfang berechtigt war, darüber zu streiten, ist müßig. Der Zustand hat sich geändert. Wann kommt die Tour mal wieder nach Deutschland?Scharping: Christian Prudhomme, der Chef der Tour, war in den letzten beiden Jahren zunehmend in Deutschland. Ich weiß, dass er verschiedene Möglichkeiten auslotet. Vielleicht erleben wir die Tour bald wieder in Deutschland. Entweder mit dem Grand Départ, dem Start also, oder mit ein, zwei Etappen. Bemühungen darum gibt es. Inwieweit ist der Start von Astana bei dieser Tour ein Ärgernis? Tony Martin hat sich deutlich positioniert. Er sprach von "fragwürdigen Typen", in der Mannschaft, die immer wieder durch Dopingfälle auffällt.Scharping: Dass ein Team offenkundig selbstgesetzte Regeln und Regeln des Internationalen Verbandes UCI missachtet, ist mehr als ein Ärgernis. Es ist ständig die Erinnerung daran, dass im Sport im Allgemeinen und im Radsport immer auch das Thema Leistungsmanipulation und Doping auf der Tagesordnung stehen wird. Nicht nur Astana mit Teammanager Alexander Winokurow schleppt einige Geister aus der Vergangenheit mit sich herum.Scharping: Ich habe schon 1998 nach dem Festina-Skandal gesagt, dass zur Dopingbekämpfung staatliche Maßnahmen gehören. Doping ist auf diesem Niveau ohne Ärzte, Masseure, Transporteure, Netzwerke im Hintergrund gar nicht vorstellbar. Es nur am Ende des Weges, nämlich bei den Sportlern, anzusiedeln, ohne die Hintermänner und Strukturen ins Visier zu nehmen, das war ein schweres Versäumnis. Das wird durch das Antidopinggesetz nun aufgeholt. Ein frühzeitigeres und härteres Vorgehen gegen Hintermänner hätte vieles verhindern können, was wir heute als Spätfolgen des Dopings beklagen. Wie kann man verhindern, dass Hintermänner von damals heute noch aktiv sind?Scharping: Der Beweis muss erbracht, das Urteil gefällt und die Sperre ausgesprochen sein. Daran fehlt es leider. Mit noch so begründeten Hinweisen alleine lässt sich ein Berufsverbot nicht rechtfertigen. Der Bund Deutscher Radfahrer hat eine positive Mitgliederentwicklung, die SPD, deren Vorsitzender Sie waren, ganz und gar nicht …Scharping: Die CDU auch nicht. Die hat mittlerweile mehr Mitglieder als die SPD. Haben Sie auf das richtige Pferd gesetzt, als Sie sich stärker dem Radsport zugewandt haben?Scharping: Wir sollten überall - egal ob in der Politik, in der Wirtschaft, im Sport oder in der Kultur - darauf achten, dass sich die organisatorischen Strukturen nicht so verhärten, dass sie als "closed shop" erscheinen. Sie müssen offen bleiben für Ideen, für junge Leute, sie müssen zum Mitmachen einladen. Daran fehlt es manchmal auch bei uns - bei uns im Radsport, meine ich. Das Gespräch führte Martin Beils, er ist Redakteur der Rheinischen Post.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort