Vom Regelbrecher zum Regelhüter

Wittlich · "Es ist bedrückend, wenn man ins Gefängnis kommt", sagt Hans-Peter Briegel. Der Europameister von 1980 war Ehrengast bei der Zertifikatsübergabe an ein Dutzend Fußballschiedsrichter, die in der Wittlicher Justizvollzugs- (JVA) und Jugendstrafanstalt (JSA) ihre Ausbildung gemacht haben.

Wittlich. "Wir sitzen hier wie auf heißen Kohlen." Die Anspannung der Schiedsrichter-Prüflinge ist fast mit Händen greifbar. Da mag der rheinland-pfälzische Justizminister Gerhard Robbers noch betonen, dass eine nicht bestandene Prüfung keine Schande sei. "Dann macht man sie eben noch mal", sagt der ehemalige Rechtsprofessor der Universität Trier. Minister Robbers, Hans-Peter Briegel, dazu mit Alois Stroh und Norbert Neuser zwei Vizepräsidenten des Fußballverbands Rheinland (FVR) - Politik und Sport zeigten, für wie wichtig sie das Resozialisierungsprojekt hinter den Wittlicher Gefängnismauern halten. Dass die Möglichkeit der Nachprüfung besteht, das wissen auch die Strafgefangenen der Wittlicher JVA und JSA, die die Ausbildung zum Fußballschiedsrichter gemacht haben.
Mario Saxler ist auch ohne Blick auf die Prüfungsergebnisse begeistert: "Eine solche Disziplin wünsche ich mir immer", sagt der Lehrwart des Fußballkreises Mosel. An drei Samstagen hat er insgesamt 20 Stunden mit den Häftlingen und zwei Justizvollzugsbeamten Fußballregeln gepaukt. Jetzt ist die Stunde der Wahrheit. "Eigentlich habe ich ein gutes Gefühl. Aber man weiß ja nie", sagt einer derer - nennen wir ihn Peter - die der Zertifikatsübergabe entgegenfiebern. Sportlich sei er schon immer gewesen, erzählt er: Tischtennis, aber auch Fußball. Deshalb kenne er sich mit den Regeln aus. "Aber zum Beispiel Abseits ist ja total komplex", sagt Peter. Lernen in der Gruppe sei für ihn nicht möglich gewesen. "Ich bin in meiner Abteilung der Einzige, der die Ausbildung gemacht hat", erklärt Peter. "Wir haben manchmal während der Arbeit über Regelprobleme diskutiert", erzählt Klaus, der mit ihm in der JVA-Küche arbeitet.
Ein weiteres Problem: die Praxis. Einen Schiedsrichter live auf dem Fußballplatz beobachten, unmöglich. "Wir haben uns einige Situationen auf Video angeschaut", erzählt Peter. Und das Schiedsrichtersein einfach mal bei einem Fußballspiel zwischen Häftlingen üben? Keine so gute Idee..., sagen Peter und Klaus.
Ihre praktischen Erfahrungen werden die zukünftigen Schiedsrichter also erst nach ihrer Haftentlassung machen. Zumeist. Bei den vorangegangenen zwei Lehrgängen habe man den Fall gehabt, dass ein Verein aus der Region auf einen Freigänger als Schiedsrichter zurückgegriffen habe, erzählt Manuel Hubo, ein Sportbeamter der JVA: "Die haben den dann samstags abgeholt und wieder zurückgebracht."
Viele Fußballvereine suchen händeringend nach Unparteiischen. Die neuen Schiedsrichter wiederum brauchen Vereine. Eine Win-win-Situation. Der FSV Salmrohr beispielsweise kooperiert mit der Wittlicher JVA. Trainer Paul Linz und der sportliche Leiter Karl-Heinz Kieren schauen sich die zukünftigen Schiris auch schon mal an. Damit die Ausbildung nach der Haftentlassung zur Resozialisierung beitrage, sei die Zusammenarbeit mit Vereinen notwendig, sagt Jörn Patzak. Schiedsrichter in einem Verein zu sein, sei für die aus der Haft Entlassenen eine Chance, nicht wieder in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. Die Männer müssten lernen, Verantwortung zu übernehmen, erklärt der Leiter der Wittlicher JVA.
Johannes (Name geändert) hat bereits Kontakt mit seinem ehemaligen Verein aufgenommen und dort eine Perspektive. "Ich werde dann wohl erst einmal bei den Junioren pfeifen", hat der junge Mann mit den zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren schon konkrete Vorstellungen. Bis es so weit ist, dauert es aber noch ein bisschen: "Ich habe noch ein Jahr." Damit ist Johannes hart an der Grenze der Auswahlkriterien für die Schiedsrichterausbildung. Die Haft solle nicht mehr zu lange dauern, damit das erworbene Wissen möglichst schnell angewendet werden kann, erklärt Patzak. Das Spektrum der Straftaten, wegen derer die Lehrgangsteilnehmer einsitzen, sei groß, erklärt Hubo. Aber Sexualstraftäter seien beispielsweise ausgeschlossen.
Patzak gibt sich keinen Illusionen hin: Nicht alle zwölf Häftlinge, die die Prüfung bestanden haben, werden nach ihrer Entlassung dauerhaft pfeifen. Aber allein, dass sie sich der Herausforderung der Prüfung gestellt haben, ist ein Erfolg - auch für die, die es beim ersten Mal nicht geschafft haben. Aber die bekommen ja eine zweite Chance.
Interessierte Fußballvereine können sich an die JVA Wittlich unter Sportbeamte.JVAWT@vollzug.mjv.rlp.de oder an den FVR-Vizepräsidenten Alois Stroh unter alois.stroh.@t-online.de wenden.
Extra

Nach 2011 und 2013 fand die Schiedsrichterausbildung hinter Gefängnismauern bereits zum dritten Mal mit Häftlingen der JVA und JSA Wittlich statt. Den Anstoß gab damals Personalleiter Rainer Schuler, dessen Sohn Schiedsrichter ist. Nachdem er ein Marathon-Projekt mit Häftlingen durchgeführt hatte, sprach er FVR-Vizepräsident Alois Stroh aus Wittlich-Neuerburg an. Dann sei alles ganz schnell gegangen. Schuler habe Nägel mit Köpfen gemacht, so dass das erste Schiedsrichterprojekt schnell starten konnte, erzählt Stroh. teu

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