Wenn der Knochen schlappmacht

Gerolstein/Trier · Wer sich auf dem Fußballplatz nach einer üblen Attacke oder beim Sturz vom Fahrrad einen Knochen bricht, merkt das im Normalfall sofort. Im Gegensatz zu solchen akuten Verletzungen aufgrund einer äußeren Gewalteinwirkung treten sogenannte Ermüdungsbrüche ohne Fremdeinwirkung auf.

Gerolstein/Trier. Es war ein Rückschlag zur unpassenden Zeit. Als Yannik Duppich aus Gerolstein im Herbst 2008 mit einer Qualifikation für die Cross-Europameisterschaft liebäugelte, spielte der Körper nicht mit. Ein Ermüdungsbruch im linken Unterschenkel setzte den damals 18-jährigen Mittel- und Langstreckenläufer der LG Vulkaneifel mehrere Wochen außer Gefecht. "Ich habe mir damals im Training zu viel zugemutet. Erst bei einem Lehrgang, als ich zu viele Tempoeinheiten absolviert habe, und später bei einem individuellen Programm in den Niederlanden", sagt der Student heute im Rückblick.
Serie "Sport ist Mord!...", Teil 7

 Dr. Andreas Meyer, Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Chirurgie in Trier. Foto: TV-Archiv

Dr. Andreas Meyer, Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Chirurgie in Trier. Foto: TV-Archiv


Solch eine "Materialermüdung", verursacht durch eine längere Zeit währende Überlastung gesunder Knochen, ist ein Grund für einen Ermüdungsbruch. Die Rede ist dann von einer Stressfraktur. Kommt es infolge einer krankhaften Schädigung der Knochensubstanz (etwa durch Knochenschwund oder Knochenkrebs) zu einem Bruch ohne Fremdeinwirkung, sprechen die Mediziner von einer Insuffizienzfraktur.
Schwierige Diagnose: Ermüdungsbrüche bleiben oftmals längere Zeit unbemerkt. "Das liegt daran, dass der Knochen meist nicht in zwei Teile bricht. Stattdessen lassen sich lediglich Mikrofrakturen, also Haarrisse oder kleine Spalten im Innern der Knochen, feststellen", erklärt Dr. Andreas Meyer, Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Chirurgie in Trier. Deshalb sind Ermüdungsbrüche auf Röntgenbildern oft nicht auszumachen, da die Knochenoberfläche keine sichtbaren Schäden aufweist. Dr. Meyer: "Mehr Erfolg versprechen Magnetresonanztomographie-Aufnahmen."
Symptome: Die Beschwerden treten nicht plötzlich, sondern schleichend auf. Ein anfangs leichter Schmerz, der zudem nicht eindeutig zuzuordnen ist, nimmt unter der Trainingsbelastung zu. Mit fortschreitender Erkrankung können sich Dauerschmerzen entwickeln.
Gefährdete Knochen: Häufig betroffen sind die unteren Ex tremitäten: Neben den Schienbein- und Oberschenkelknochen vor allem die Mittelfuß- und Fußwurzelknochen.
Ermüdungsbrüche können in jeder Sportart und in jedem Alter passieren. Hochrechnungen gehen jedoch davon aus, dass etwa 70 Prozent aller Stressfrakturen bei Läufern und Leistungssportlern auftreten. Zudem trifft es vergleichsweise oft Jugendliche.
Woran liegt das? Bei Heranwachsenden entwickeln sich Bänder, Muskeln, Sehnen und Knochen nicht gleichzeitig. So kommt es zu Spannungsungleichgewichten, die - gepaart mit einer dauerhaften Belastung - bei ambitionierten Athleten Knochenschädigungen hervorrufen. Bei Yannik Duppich ist offenbar zudem eine Hüftfehlstellung mit ausschlaggebend gewesen.
Aber auch Hobbysportler sind nicht gefeit vor Stressfrakturen. "Untrainierte, die plötzlich ihren Trainingsumfang enorm steigern oder mit falschen Schuhen ihre Füße fehl- oder überbelasten, erhöhen ihr Risiko", sagt Dr. Meyer. Für einen Ermüdungsbruch des zweiten oder dritten Mittelfußknochens hat sich übrigens der Begriff "Marschfraktur" etabliert. Hintergrund: Diese Verletzung wurde zuerst bei Soldaten beobachtet.
Therapie: Meist führt eine konservative Behandlung zum Erfolg. Da Ermüdungsbrüche aus Überlastungen resultieren, hilft in erster Linie Ruhe für die geplagten Knochen. "Sie müssen entlastet werden. Zum Beispiel mit Hilfe von Krücken oder speziellen Schuhen", sagt Dr. Meyer. So bekommt der ermüdete Knochen die nötige Zeit, um sich zu regenerieren. Weitere Maßnahmen können sein: Physiotherapie, Magnetfeldbehandlung, Krankengymnastik, Lymphdrainage, Tape-Verbände.
Erst nach der Ausheilung sollte wieder behutsam mit Sport begonnen werden.
Pause: Sportler mit einer Stressfraktur müssen eine mehrwöchige Pause in Kauf nehmen. Probleme am Mittelfuß können sich bis zu sechs Wochen hinziehen, Ermüdungsbrüche am Schienbein, Wadenbein und Oberschenkel können eine bis zu zwölfwöchige Auszeit zur Folge haben. So wie bei Duppich, der seinerzeit nach zweieinhalb Monaten wieder ins Training einsteigen konnte.
Probleme am Becken bedingen unter Umständen sogar eine mehrmonatige Pause. Im Ex tremfall ist eine Operation notwendig. Dabei wird der betroffene Knochen per Schraube fixiert.
Vorbeugung: Wer seinem Körper nicht zu viel zumutet, setzt sich auch nicht so einfach der Gefahr von Ermüdungsbrüchen aus. "Die eigenen physiologischen Grenzen dürfen nicht zu schnell überschritten werden", sagt Dr. Meyer. Zu einem knochenschonenden Training gehört auch, gut dämpfende Schuhe zu tragen. Zudem gilt es, mögliche Technikfehler abzustellen, um eine erneute Stressreaktion zu unterbinden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort