Kein politischer Leisetreter

Brüssel · Die Europäische Kommission ist die "Regierung" der EU. Für die Energiepolitik ist der Deutsche Günther Oettinger zuständig. Ob der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg im Amt bleibt, hängt vom Ausgang der kommenden Europawahl ab. Ein Porträt von unserer Brüsseler Korrespondentin.

 Günther Oettinger. Foto: Julien Warnand/Archiv

Günther Oettinger. Foto: Julien Warnand/Archiv

Günther Oettinger (60) istr. Der EU-Energiekommissar steht öffentlich zu seinen Überzeugungen: eine Eigenschaft, die menschlich angenehm, aber beruflich nicht immer hilfreich ist. Die von der Bundesregierung ohne Abstimmung mit den EU-Partnern betriebene Energiewende hat er oft und deutlich kritisiert.

Jüngst zog der CDU-Politiker gegen den europakritischen Wahlkampf der Schwesterpartei CSU zu Felde: "Die Bayern brauchen offenbar immer jemand, gegen den sie sich abgrenzen können. Früher waren es die Preußen, heute ist es die EU”, polterte er in einem Interview.

Zuvor hatte er schon die CSU-Pläne zur Pkw-Maut medial niedergemacht. CSU-Chef Horst Seehofer war so sauer über das "weltfremde” Störfeuer aus Brüssel, dass er dem Kommissar mit seinem Veto gegen eine zweite Amtszeit drohte: "Glaubt denn der Oettinger im Ernst, dass er noch einmal EU-Kommissar wird?" soll er in der Klausursitzung des Vorstands gewettert haben. Er bestritt das Veto hinterher. Doch klar ist: die berufliche Zukunft von Günther Oettinger ist offen. Das weiß keiner besser als er selbst.

Ende Oktober läuft das Mandat der amtierenden Kommission von Behördenchef José Manuel Barroso aus, in der Oettinger für Energiepolitik zuständig ist. Er hat sich in der EU-Exekutive durch Sachkenntnis und politisches Gespür Anerkennung und Einfluss erarbeitet. Viele der jetzigen Kommissare werden nicht wiederkommen, weil ihre Partei daheim nicht mehr mitregiert. Deshalb hätte der ehemalige Ministerpräsident Baden-Württembergs, den die Kanzlerin 2009 aus innenpolitischen Gründen nach Brüssel weglobte, eine starke Stellung, sollte er eine zweite Amtszeit bekommen. Deutschland könnte ein Schlüsselressort wie Währung, Industrie oder Binnenmarkt beanspruchen - und einen Vizepräsidenten-Titel. Angeblich hat Angela Merkel auch schon mit Oettinger über eine Verlängerung gesprochen. Doch entscheidend für Oettingers Zukunft ist nicht seine Kompetenz, sondern der Wahlausgang.

Denn erstmals haben alle europäischen Parteien Spitzenkandidaten für den Urnengang und den Chefsessel der Kommission aufgestellt. Die Sozialisten sind mit SPD-Mann Martin Schulz im Rennen, die europäischen Konservativen mit dem Luxemburger Ex-Premier Jean-Claude Juncker. Gehen die Sozialdemokraten als europaweit stärkste Kraft aus der Abstimmung Ende Mai hervor, hat Martin Schulz beste Chancen, vom Rat der Staats- und Regierungschefs als neuer Kommissionspräsident vorgeschlagen zu werden - und auch im Europaparlament die nötige Mehrheit zu bekommen.

Würde erstmals seit Walter Hallstein 1958 ein Deutscher die EU-Exekutive führen, gäbe es keinen weiteren Vertreter aus der Bundesrepublik in der neuen Kommissions-Mannschaft. Oettinger streckt für den Fall die Fühler in die Wirtschaft aus. Er sei gerade noch jung genug, nochmal etwas anderes zu machen, lautet sein Standardsatz auf Fragen nach seinen beruflichen Ambitionen. Es gebe "zwei Gesprächsfäden" - einen ins europäische Ausland und einen nach Amerika.

Eins ist allerdings klar: In die Energiewirtschaft darf Oettinger nicht gehen. Die EU-Kommission schreibt eine Abkühlphase vor. Ein Kommissar darf in dem Wirtschaftssektor, den er in Brüssel betreute, anderthalb Jahre überhaupt nicht tätig werden. Zudem muss die EU-Kommission einen neuen Job genehmigen.
Das ist die Lehre aus spektakulären Fällen wie dem von FDP-Politiker Martin Bangemann. Der wechselte 2000 quasi nahtlos von seiner Funktion als EU-Telekom-Kommissar in die Führungs-Etage des spanischen Konzerns Telefonica.

Für den Politiker aus dem Ländle wäre die Automobilindustrie ein lukrativer Sektor. Aus einem öffentlich gewordenen Briefwechsel zwischen Oettinger und Volkswagen-Chef Martin Winterkorn geht hervor, dass sich der deutsche Kommissar im Streit um neue EU-Klimaauflagen für Neuwagen im Sinne der heimischen Konzerne einsetzte. An guten Verbindungen mangelt es also nicht.

Es könnte aber auch ganz anders kommen. Derzeit sagen die Meinungsforscher den Christdemokraten sowohl europäisch wie auch in Deutschland einen Sieg bei der Europawahl voraus.

Wird der Luxemburger Jean-Claude Juncker Chef der EU-Exekutive, dürfte die Bundesregierung einen Kommissar für dessen "Regierungs-Team” benennen. Denn jedes der 28 EU-Länder darf einen Vertreter in die Brüsseler Führungsmannschaft entsenden.

Die Personalauswahl liegt allein im Ermessen der jeweiligen nationalen Regierung. Kanzlerin Angela Merkel dürfte es ihrer Partei trotz großer Koalition aber nur schwer erklären können, warum sie bei einem klaren Wahlsieg der CDU/CSU in Deutschland SPD-Mann Martin Schulz als Kommissar nach Brüssel schickt. Also liefe alles auf Günther Oettinger hinaus - oder CDU-Spitzenkandidat David Mc Allister. Doch der gilt als zu EU-unerfahren für den Brüsseler Top-Job.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort