Union gewinnt Europawahl trotz Einbußen - SPD holt auf - AfD stark

Berlin/Brüssel · Zwiespältiger erster Stimmungstest nach der Bundestagswahl für Merkels Union: Das Europa-Votum bestätigt sie in Deutschland zwar als Nummer eins - doch die CSU büßt kräftig ein. Rechts davon erstarken die Euroskeptiker. Und in Frankreich siegen sogar Rechtsextreme.

 Impressionen aus dem Gemeindehaus Neue Mitte in Irrel. Dort werden nach 18 Uhr eifrig die Stimmen gezählt. TV-Foto: Stefanie Glandien

Impressionen aus dem Gemeindehaus Neue Mitte in Irrel. Dort werden nach 18 Uhr eifrig die Stimmen gezählt. TV-Foto: Stefanie Glandien

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 Die Wähler hatten das Wort, dann wurde, wie hier in Gerolstein, ausgezählt.

Die Wähler hatten das Wort, dann wurde, wie hier in Gerolstein, ausgezählt.

Foto: Mario Hübner

(dpa) - Die Unionsparteien haben bei der Europawahl in Deutschland ihre Vorrangstellung verteidigt - allerdings mit herben CSU-Verlusten. Die SPD legt laut Hochrechnungen nach ihrem Tief vor fünf Jahren kräftig zu, steht aber nach wie vor ein gutes Stück hinter der Union von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Der euroskeptischen Alternative für Deutschland (AfD) gelingt nun locker, was ihr bei der Bundestagswahl noch knapp verwehrt blieb: der Einzug ins Parlament. Die Euro-Krise stärkte in anderen Ländern offenkundig die politischen Ränder: In Frankreich und Dänemark siegten laut Hochrechnungen Rechtsaußen-Parteien, in Griechenland Linksradikale.

Noch am Wahlabend begann zwischen den Berliner Koalitionspartnern Union und SPD ein Tauziehen um den Posten des künftigen EU-Kommissionspräsidenten: Jean-Claude Juncker für den konservativen Parteienblock EVP - oder Martin Schulz für die Sozialdemokraten. SPD-Chef Sigmar Gabriel warnte davor, den Kommissionschef wieder im Hinterzimmer zu küren. Dann könne man sich die nächste Europawahl schenken. Schulz selbst sagte, er werde sich um entsprechende Mehrheiten in Straßburg und Brüssel bemühen. Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) erklärte über Twitter: „Klarer Auftrag“ für die EVP.

In Deutschland verlieren die Grünen leicht, bleiben aber zweistellig. Die Linke erreicht in etwa ihr Ergebnis von 2009. Damit hat sich am Sonntag beim ersten echten Stimmungstest acht Monate nach der Bundestagswahl der Abstand zwischen großer Koalition und Mini-Opposition kaum verändert. Die FDP, im Herbst aus dem deutschen Parlament geflogen, schafft nicht einmal mehr ein Drittel ihres bisherigen EU-Ergebnisses, bleibt jedoch in Straßburg vertreten.

Die Union erreicht nach den Hochrechnungen von ARD (20.42 Uhr) und ZDF (19.24 Uhr) 35,5 bis 35,7 Prozent - ihr schlechtestes Europa-Ergebnis seit 1979, noch weniger als 2009 (37,9) und auch deutlich schwächer als bei der Bundestagswahl im September (41,5). Diese Verluste gehen allein auf das Konto der CSU, die in Bayern rund acht Prozentpunkte einbüßt. Die SPD verbessert sich auf 27,2 Prozent - sie hatte 2009 allerdings mit 20,8 Prozent auch ihr schlechtestes Europawahl-Ergebnis eingefahren. Die Sozialdemokraten liegen nun in der Wählergunst besser als bei der Bundestagswahl (25,7).

Die Grünen verlieren auf 10,7 Prozent (12,1). Die Linke erreicht wie vor fünf Jahren 7,5 Prozent. Die FDP stürzt wie zuvor schon bei der Bundestagswahl nun auch auf EU-Ebene ab und kommt nur auf 3,0 bis 3,3 Prozent (11,0). Die AfD schafft es bei ihrer ersten Europawahl gleich auf 6,8 bis 7,0 Prozent - ein wichtiger Erfolg auch mit Blick auf die Landtagswahl Ende August in Sachsen, bei der die neue Partei ihre Position in der deutschen Politik verankern will.

Nach den Hochrechnungen ergibt sich folgende deutsche Sitzverteilung im Straßburger Parlament: CDU/CSU 35 Mandate, SPD 27, Grüne 11, Linke 7, FDP 3 und AfD 7. Die Bundesrepublik als größtes EU-Land stellt 96 der künftig 751 EU-Parlamentarier. Sie sind für fünf Jahre gewählt. Diesmal hatten auch Kleinparteien eine Chance, weil das Bundesverfassungsgericht im Februar die Fünf-Prozent-Hürde für die Europawahl gekippt hatte. So erreichte die rechtsextreme NPD beispielsweise einen Sitz, ebenso Piratenpartei, Freie Wähler, Tierschutzpartei, Familienpartei und ÖDP.

Mit knapp 48 Prozent zeichnete sich am Abend in Deutschland eine bessere Wahlbeteiligung als 2009 (43,3) und 2004 (43,0) ab. Insgesamt waren in den 28 Staaten der Europäischen Union 400 Millionen Bürger aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Allein in Deutschland waren es 64,4 Millionen, darunter 2,9 Millionen aus anderen EU-Staaten.

Für die Union befand Bundestagsfraktionschef Volker Kauder: „Wir können mit dem Ergebnis leben.“ Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer räumte „eine herbe Enttäuschung“ ein. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann bescheinigte seiner Partei den „höchsten Zuwachs aller Zeiten“ bei einer bundesweiten Wahl. AfD-Chef Bernd Lucke sah die Euroskeptiker auf dem Weg zur „neuen Volkspartei“. Man werde in Straßburg nicht mit Rechtspopulisten Bündnisse schließen, sagte er.

Die Europawahl war nach Einschätzung der Forschungsgruppe Wahlen vor allem bundespolitisch geprägt. Für 54 Prozent war bei der Stimmabgabe die Bundespolitik entscheidend, nur für 40 Prozent die Europapolitik. Die Wahlforscher ermittelten, 72 Prozent der SPD-Wähler wollten Schulz als EU-Kommissionspräsidenten - aber nur 41 Prozent der CDU/CSU-Anhänger den EVP-Spitzenkandidaten Juncker.

Das Europaparlament hat wichtige Kompetenzen in der EU-Gesetzgebung und muss unter anderem dem jährlichen EU-Haushalt zustimmen. Vom Wahlergebnis sollte erstmals auch abhängen, wer Präsident der EU-Kommission wird. Kein Parteienblock wird aber im Europaparlament aus eigener Kraft die nötige absolute Mehrheit haben - nicht ausgeschlossen ist daher, dass am Ende wieder ein Kompromisskandidat Präsident der EU-Kommission wird.

In Frankreich gewann die rechtsextreme Front National (FN) die Europawahl. Nach europakritischem Wahlkampf konnte die Partei unter Marine Le Pen laut ersten Prognosen einen deutlichen Stimmenzuwachs verbuchen und kam auf 25 Prozent (2009: 6,3). Die regierenden Sozialisten mussten erneut eine schwere Schlappe hinnehmen: Die Partei von Präsident François Hollande landete bei etwa 14 Prozent (2009: 16,5) und damit hinter der konservativen UMP auf Platz drei.

Im Euro-Krisenland Griechenland wurde das oppositionelle Bündnis der radikalen Linken (Syriza) allen Prognosen zufolge stärkste Kraft. Es kommt es auf 26 bis 28 Prozent, noch vor der mit den Sozialisten regierenden konservativen Nea Dimokratia (23 bis 25). Auf Platz drei rangierte die rechtsradikale Goldene Morgenröte (8 bis 10).

In Dänemark wurde die rechtspopulistische Dänische Volkspartei stärkste Kraft. Laut Prognose kam die Partei auf rund 23 Prozent. Mit 20,5 Prozent erreichten die regierenden Sozialdemokraten von Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt das zweitbeste Ergebnis.

In Österreich verteidigte die konservative ÖVP laut Hochrechnungen mit 27,4 Prozent (2009: 30) Platz eins. Die sozialdemokratische SPÖ erreicht mit 23,8 Prozent ein Ergebnis wie vor fünf Jahren. Deutlich zugelegt hat die rechte FPÖ mit 19,5 Prozent (plus 6,9).

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