Barenboim und Beethoven zum Republik-Geburtstag

Berlin (dpa) · Er flog zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort: Nur drei Tage nach dem Mauerfall stand Daniel Barenboim am 12. November 1989 vor den Berliner Philharmonikern und dirigierte für die neuen Zuhörer aus Ost-Berlin ein mittlerweile legendäres Beethoven- Konzert.

Fast zwanzig Jahre danach tritt Barenboim an diesem Samstag zum Staatsgeburtstag auf: Vor dem Reichstag wird der Maestro mit seiner Berliner Staatskapelle die Neunte aufführen - und diesmal hört die vereinte Republik zu. Das Konzert wird live im ZDF (17.30 Uhr) übertragen.

Es ist wohl kein Zufall, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den argentinisch-israelischen Dirigenten, der auch einen palästinensischen Pass hat, zum Auftritt für den Staatsakt gewonnen hat. Wie wohl wenige Künstler in Deutschland gehört der 66-Jährige, der seit fast zwei Jahrzehnten in Berlin lebt, zu den engen Begleitern der deutschen Einheit. Die Staatsoper Unter den Linden baute der Musiker zu einem Vorzeigehaus der Einheit aus - Intendanten kamen und gingen, Barenboim blieb.

„Wir haben die psychologische Mauer zwischen Ost und West niedergerissen“, sagt der 66-Jährige im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. „Beim Probespiel haben wir nie gedacht, es wäre besser, wenn ein Ostdeutscher eine bestimmte Position im Orchester einnimmt.“ Aus dem ehemaligen Osten und dem ehemaligen Westen sei etwas Neues geschaffen worden.

Es war wohl das Emigrantenschicksal, das Barenboims Welt- und Musikverständnis geformt hat. Wie viele Migranten hat der 1942 in Buenos Aires geborene Enkel russischer Einwanderer früh den Umgang mit verschiedenen Rollen gelernt. „Ich bin weder nur Jude, Argentinier oder in Deutschland lebender Musiker - ein moderner Mensch definiert sich vor allem durch die Möglichkeit, mehrere Identitäten zu haben“, sagte er.

1952 zog er mit seinen Eltern von Buenos Aires nach Israel. Eine Einladung seines großen Idols Wilhelm Furtwängler, mit den Philharmonikern in Berlin zu spielen, durfte er nicht nicht annehmen - für Barenboims Vater war neun Jahre nach Kriegsende die Zeit noch nicht reif, dass ein Jude in Deutschland auftreten kann. Erst 1964, zum 10. Todestag Furtwänglers, spielte Barenboim in Berlin dessen Klavierkonzert. „Als ich nach Berlin kam, fühlte ich mich im Land Wilhelm Furtwänglers. Das spürte man sehr stark bei den Berliner Philharmonikern.“

Barenboim geht es vor allem, dass sich Menschen gegenseitig zur Kenntnis nehmen - wie etwa bei seinem Engagement im Nahost-Konflikt. Zusammen mit dem palästinensischen Schriftsteller Edward Said (1932-2003) gründete er das „West Eastern Divan Orchestra“, in dem junge israelische und arabische Musiker gemeinsam musizieren. Doch auch in Berlin sieht der Dirigent ein Wahrnehmungsproblem. „Wir haben noch einen langen Weg bis zur Wiedervereinigung der Menschen in dieser Stadt“, sagt er.

Noch immer gebe Ost- und West-Berliner und mit ziemlich getrennten Horizonten. Und es herrsche in der Stadt noch immer eine „Dorfmentalität“. Die Berliner Schnauze sagt zwar: „Wir sind die Besten - und trotzdem - oder vielleicht deswegen - gibt hier eine provinzielle Unsicherheit den Ton an.“

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