Nur ganz wenig Volksjubel

Auf dem Berliner Gendarmenmarkt bot eine große Fläche Platz für 3000 Menschen. Doch obwohl der Eintritt außer einer kurzen Sicherheitskontrolle unbeschränkt war, kamen nur etwas mehr als 100 Schaulustige, um zusammen mit der Spitze von Staat und Gesellschaft 60 Jahre Grundgesetz und damit auch das Jubiläum des eigenen Landes zu feiern.

Berlin. Die Großbildleinwand überträgt ins Leere. "Irgendetwas ist mit der Kommunikation schiefgelaufen", sagt einer der Organisatoren des Staatsakts missmutig. Wohl wahr: Die Berliner und die Touristen wissen schlichtweg nicht, dass sie dabei sein dürfen. Die 28 angereisten Trachten- und Folkloregruppen haben kein Publikum. Immerhin, ins Fernsehen kommen sie.

Im Konzerthaus ist vor einer dezent mit Nationalfahne und gelb-rotem Rosengesteck geschmückten Bühne wirklich alles versammelt, was Rang und Namen hat in der Republik. Vorher waren sie gemeinsam zum ökumenischen Festgottesdienst im Dom. Die Sitzordnung entbehrt nicht gewisser Feinheiten. FDP-Mann Guido Westerwelle sitzt neben SPD-Chef Franz Müntefering. Köhler-Herausforderin Gesine Schwan in der sechsten Reihe neben Mitherausforderer Peter Sodann, der, so weit erkennbar, als einziger keinen Schlips umgebunden hat. Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist zu seinem Ex-Kollegen Hans-Dietrich Genscher platziert worden, und die drei früheren Präsidenten Walter Scheel, Richard von Weizsäcker und Roman Herzog sitzen ganz vorne nebeneinander. Journalisten dürfen aus unerfindlichen Gründen nur in kleiner Zahl ins Konzerthaus, obwohl auf der Pressetribüne wohl 100 Plätze frei sind. Noch ein Organisationsversagen.

160 ausgesuchte Bürger, meist ehrenamtlich tätige Menschen aus den Ländern, sitzen im ersten Rang und sind ziemlich aufgeregt. "Ist schon ne dolle Sache, dass wir hier sein können", sagt Gerd Prüfer vom Hamburger Arbeitersamariterbund. Die Zeremonie ist kurz und getragen. Es gibt Weber und Beethoven vom Konzerthausorchester, Brahms vom Chorwerk Ruhr und dann einen bemerkenswerten Film namens "Unsere 60 Jahre" (download unter: www.bmi.bund.de). Ganz vorsichtig ist das Innenministerium dieses Werk angegangen, mit wissenschaftlicher Begleitung und strengen Vorgaben: Erinnerungen sollten wachgerufen, Alltag und Einstellungsänderungen gezeigt werden. Das gelingt in 15 temporeichen Minuten. Es ist keine rein westdeutsche Sicht der Dinge; das Entstehen der DDR wird als eine Art Parallelgeschichte gezeigt, auch das normale Leben dort. Bis dann alles 1990 zusammenkommt. Allerdings fehlt ein Hinweis darauf, dass "Solidarnosc" in Polen dazu erheblich beigetragen hat. Horst Köhler immerhin erwähnt die polnische Gewerkschaft in seiner Rede. Wie er überhaupt nichts Falsches sagt und kaum etwas vergisst. Das finden jedenfalls hinterher auch die, die ihn nicht wählen wollen. Köhler widersteht der Versuchung, Wahlkampf in letzter Minute zu machen. Aber dass der Beifall recht heftig ist, das liegt an jenen, die wollen, dass er es wieder schafft. Gesine Schwan klatscht verhalten. Sie muss - wegen der Kameras. Peter Sodann macht nur eine symbolische Beifallsgeste. Er muss nicht. Dabei hat Horst Köhler sogar gesagt, dass "die meisten ihr Leben in der DDR mit Anstand gemeistert haben" und die im Westen nur "Glück hatten". "Wir können stolz sein auf das Erreichte", ist die Botschaft des Präsidenten. Noch die Nationalhymne, dann gibt es Häppchen. Der fast leere Platz leert sich komplett, und Kanzlerin-Gatte Joachim Sauer gibt beim Weggehen eine ganz eigene Begründung dafür, warum dieses Jubiläum "ein besonderer Tag" ist. "Das sehen Sie ja schon daran, dass ich dabei bin".

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