Report: In der Krise spendet Köhler Zuversicht

Berlin (dpa) · Nur an einer Stelle seiner Festansprache gibt es einen Bezug zu seiner Herausforderin Gesine Schwan. Beim Staatsakt zum 60-jährigen Bestehen der Bundesrepublik schildert Bundespräsident Horst Köhler die Nachkriegsgeschichte. Die Menschen im Westen hätten Glück gehabt, sagt er.

„Aber im Osten entstand eine neue Diktatur.“ Schwan, die am Samstag in der Bundesversammlung gegen Köhler für das höchste Staatsamt kandidiert, hatte kürzlich die DDR nicht als Unrechtsstaat qualifizieren wollen und sich dafür viel Ärger eingehandelt.

Ob der Satz bewusst auf die SPD-Kandidatin gemünzt ist, bleibt am Freitag den 1400 Festgästen im Konzerthaus Berlin überlassen. In der sechsten Reihe sitzt auch die Kandidatin Schwan. Köhler verurteilt nicht die Menschen, die in der DDR leben mussten, aber das System, das sie um die Früchte ihrer Arbeit gebracht habe.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, zitiert der Bundespräsident Artikel 1 des Grundgesetzes. Die Bürger hätten das Grundgesetz mit Leben erfüllt. „Unsere Verfassungsordnung ist ein Leuchtfeuer der Freiheit geworden. Es hat den Menschen in der DDR Hoffnung gegeben.“ Sein Vorgänger Richard von Weizsäcker sagt dazu in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“: „Wir sind aus einer Untertanengesellschaft gekommen und eine Bürgerdemokratie geworden.“

Draußen auf dem prächtigen Gendarmenmarkt ist von der Bürgergesellschaft nicht viel zu sehen. 16 Bundesländer präsentieren sich da. Und manch eine Klischeevorstellung über Deutschland wird erfüllt. Es treten auf Fahnenschwinger, Trachtengruppen, Alphornbläser, Bergmänner, das Düsseldorfer Karnevals-Prinzenpaar und eine Loreley-Darstellerin. Auf einer großen Videoleinwand wird der Staatsakt übertragen. Doch der weite Platz ist nur spärlich mit Zuschauern gefüllt.

Wie Deutschland 60 Jahre Grundgesetz begehen soll, war lange unklar. Ursprünglich sollte drei Tage lang gefeiert werden. Eine Eventagentur sollte das organisieren. Vorgesehen waren Ansprachen des Bundespräsidenten, des Bundestagspräsidenten und der Bundeskanzlerin auf einer Bühne vor dem Brandenburger Tor. Geblieben sind ein eintägiges Bürgerfest am Verfassungstag, dem 23. Mai, und der Staatsakt am Tag davor. Dieser ist laut Protokoll die höchste Würdigung von Anlässen oder Personen durch die obersten Repräsentanten des Gemeinwesens. Damit geht die Bundesrepublik äußerst sparsam um. An diesem Freitag ist es erst der sechste Staatsakt, der jüngste war vor 10 Jahren zum 50. Jubiläum.

Köhler lässt in seiner halbstündigen Ansprache die Geschichte des bis 1989 geteilten Landes Revue passieren. Noch knapper fasst ein eigens für diesen Tag produzierter Film mit rascher Bildfolge und schnellen Schnitten „Unsere 60 Jahre“ zusammen. „Wir sind in den vergangenen 60 Jahren zu einer offenen und weltoffenen Gesellschaft geworden“, sagt der Bundespräsident. Deutschland habe Lehren aus seiner Geschichte gezogen, sich den Nazi-Verbrechen gestellt, trete Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit entgegen.

Ausdrücklich würdigt Köhler die friedliche Revolution im Osten. Diese habe den Weg zur Einheit gebahnt. „Dank an alle, die dabei waren! Ihr mutiger Einsatz hat unendlich viel zum Ansehen unseres Volkes in der Welt beigetragen“, sagt Köhler unter Beifall.

Auch wenn Köhler die vergangenen 60 Jahre als Erfolgsgeschichte darstellt, lenkt er den Blick auf Defizite. Dass ein Arbeiterkind heute studiere, sei nicht mehr außergewöhnlich, aber noch viel zu selten. „Noch immer hängen die Entwicklungsmöglichkeiten eines Kindes zu stark vom sozialen Status und vom Geldbeutel der Eltern ab.“

In der schweren aktuellen Krise will der Bundespräsident auch Zuversicht verbreiten. Vor 60 Jahren hätten sich die Deutschen im Westen ein Versprechen gegeben, das Land auf der Grundlage von Freiheit und Menschenwürde wieder aufzubauen. „Wie wäre es, wenn wir dafür das Versprechen von vor 60 Jahren heute erneuern würden?“ Wenn niemand wegschaue, wenn Menschen in Not seien, wenn jedes Kind einen Schulabschluss erreiche, wenn mit aller Kraft eine umweltgerechte Wirtschaft geschaffen werde? Die Krise, sagt Köhler, „kann uns die Augen für den Wert und die Würde der Arbeit öffnen, die Menschen für Menschen leisten“.

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