Geboren am 9.11.89: Ein Novemberkind wird 20

Berlin (dpa) · Ihr Geburtstag ging in die Geschichte ein: Als Christin Heda in Ost-Berlin zur Welt kam, fiel die Mauer. Es war der 9. November 1989. Das historische Datum in ihrem Pass hat Christin mit rund 80 Jungen und Mädchen gemeinsam, die am Tag der Maueröffnung in Berlin geboren wurden.

Oft wurden sie Novemberkinder oder Mauerkinder genannt, über ihr Leben wurde stellvertretend für die Entwicklung der Stadt berichtet. Heute sind sie Schüler und Studenten, Azubis oder Arbeitslose, berichtet der Organisator ihrer jährlichen Treffen, Dietrich Pusch. „Die Novemberkinder haben sich sehr unterschiedlich entwickelt - so wie die Stadt Berlin.“

Pusch ist VW-Händler. Der Wolfsburger Autokonzern übernahm nach der Wende symbolisch Patenschaften für die Jungen und Mädchen bis zu deren 18. Geburtstag. Jedes Jahr trafen sie sich, bekamen Zaubershow oder Profi-Basketballspiel geboten. „Wirklich kennengelernt haben sich wenige, dafür war die Zeit zu kurz und die Familien waren zu verschieden“, sagt Pusch.

Christin Heda bestätigt das. Zu keinem anderen Novemberkind habe sie Kontakt, sagt die schlanke junge Frau mit hellbraunem Haar. Sie sitzt in einem Café in Berlin-Mahlsdorf, einem Stadtteil am östlichen Stadtrand. Neben ihr ist Mutter Editha Heda, die sich an die Worte des Grenzsoldaten erinnert, als sie mit der wenige Tage alten Tochter nach West-Berlin fuhr: „Was für ein tolles Geburtsdatum, da wird die Kleine ein Leben lang drauf angesprochen werden“, sagte der Grenzer.

Ausgerechnet in der Schule war der 9. November 1989 aber kein Thema. Kein einziges Mal sei sie von den Lehrern auf das besondere Datum angesprochen worden, sagt Christin. „Die hätten die Klasse doch nur mal kurz fragen können, wisst ihr, was damals passiert ist, und dann zehn Minuten drüber reden können“, findet sie. Die DDR und den Mauerfall habe sie im Unterricht überhaupt nie behandelt. Das kann aber noch kommen: Nachdem Christin nach der 10. Klasse eine Lehre gemacht hatte, drückt sie wieder die Schulbank und peilt das Abitur an.

Was sie von der DDR weiß, habe sie von ihren Eltern oder aus dem Fernsehen, sagt Christin und schüttelt den Kopf: „Eigentlich weiß ich ziemlich wenig.“ Nur dass sie es heute besser habe als ihre Eltern in jungen Jahren damals. Ihre Mutter nickt. Die Mauer sei bis in ihre Familie spürbar gewesen. Am Tag vor dem Mauerbau am 13. August 1961 sei ihre Cousine in den Westen geflohen, deren Bruder sollte am Tag darauf nachkommen. Dann schaffte er es nicht mehr - die Geschwister waren getrennt. „Als die Mauer fiel, waren sie sich fremd geworden, das ist heute auch noch so“, sagt die 53-Jährige.

Ihre Tochter sagt, sie könne sich kaum vorstellen, wie das wäre, nicht dahin reisen zu dürfen, wohin man wolle. Reisen führten sie bislang durch Westeuropa. Nun drängt sie das Fernweh nach Asien. Sie wolle Japanologie studieren und ein paar Auslandssemester in Tokio verbringen. Bezahlen will sie den Flug mit dem Patenschafts-Geld von VW: Jedes Jahr bekamen die Kinder 100 Mark, später 51 Euro auf ein Sparbuch überwiesen.

Ihre Ausbildung führte die Ostberlinerin Christin in das Kaufhaus des Westens (KaDeWe). Das war für ihre Mutter bis zur Wende noch der „Konsumtempel“ - unerreichbares Symbol der Bundesrepublik. Die Tochter absolvierte dort ihre Lehre. Für die Arbeit in der Spielzeugabteilung sei sie stundenlang mit der S-Bahn gefahren, sagt Christin. Eine ganz normale, alltägliche Pendel-Fahrt von Ost nach West und West nach Ost - über die einstige Mauer hinweg, die Geschichte wurde, als Christins Lebensgeschichte begann.

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