Missbrauch: Opfer leiden doppelt

TRIER. (wie) Zwei Jahre nach der Tat erst die Gerichtsverhandlung: Für Missbrauchsopfer keine Seltenheit, wenn der Beschuldigte nicht in Haft ist. Bis dahin leiden die Leiden weiter. Immer wieder die Angst, dem vermeintlichen Täter zu begegnen. Anwälte und die Opfer-Hilfs-Organisation Weißer Ring fordern daher: Missbrauch muss schneller vor Gericht.

Ein Beispiel von vielen Ein Mann aus dem Kreis Bernkastel-Wittlich soll zwei Mädchen, fünf und neun Jahre alt, unsittlich berührt haben. Im vergangenen November wurde die Tat angezeigt: Er gestand, wurde aber nicht inhaftiert. Die Mädchen mussten nach Angaben der Eltern auf dem Weg zu Kindergarten und Schule immer an seinem Haus vorbei. Die Familie zieht weg. Bis heute fand noch kein Prozess statt. Falls der Beschuldigte nicht wegen Flucht- oder Verdunkelungsgefahr in Untersuchungs-Haft kommt, vergingen oft ein bis zwei Jahre bis zur Prozesseröffnung, klagt Anwältin Ruth Streit-Stifano aus Trassem (Kreis Trier-Saarburg), die überwiegend Missbrauchsopfer vertritt. Während dieser Zeit lebten die Opfer lebten ständig mit der Angst, ihrem Peiniger wieder zu begegnen, von ihm bedroht oder eingeschüchtert zu werden, sagt Helmut K. Rüster vom Weißen Ring. Der Opferschutz werde mit Füßen getreten. Mit der Zeit kann vor allem bei Kindern die Erinnerung verschwimmen, nach einiger Zeit erinnern sie sich womöglich nicht mehr an Details der Tat. "Die Opfer haben das Gefühl, sie werden von der Justiz nicht ernst genommen", sagt Rüster und fordert genau wie Streit ein beschleunigtes Verfahren für Missbrauchs-Opfer wie es bei U-Haft vorgeschrieben ist: Nach sechs Monaten muss der Prozess begonnen haben. Auch der Koblenzer Strafverteidiger Eric Leis fordert, Missbrauchsverfahren vorrangig zu behandeln. Sein Vorschlag: Eine richterliche Video-Vernehmung der Opfer unmittelbar nach der Anzeige. "Das kann sie davor bewahren, vor Gericht aussagen zu müssen." Bei Gericht sieht man keine Möglichkeit für eine Verfahrensbeschleunigung. Die Zeit sei erforderlich, um den Beschuldigten unzweifelhaft als Täter zu überführen, sagt Armin Hardt, Sprecher des Trierer Landgerichts. Auch das Mainzer Justizministerium warnt vor einer generellen Beschleunigung: "Jedes Verfahren muss individuell betrachtet werden", so Sprecher Fabian Scherf.THEMEN DER ZEIT SEITE 3

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