Bildungsserie: "Auch Gärtner können Medizin studieren" - Warum das Abitur nicht immer die beste Wahl ist

Trier · Bei der Wahl zwischen Berufsausbildung oder Studium haben sich 1995 noch mehr als doppelt so viele Jugendliche für den Ausbildungsberuf entschieden. Aktuell ist die Zahl von Studien- und Berufsanfängern nahezu gleich. Im letzten Teil unserer Serie geht es heute um die Gründe dafür und die Folgen.

 Gärtner Alexander Hermann absolviert derzeit eine Floristen-Ausbildung. Er will Meister werden und könnte dann auch studieren. TV-Foto: Friedemann Vetter

Gärtner Alexander Hermann absolviert derzeit eine Floristen-Ausbildung. Er will Meister werden und könnte dann auch studieren. TV-Foto: Friedemann Vetter

Alexander Hermann ist ein Musterbeispiel: Der 19-jährige Mann aus Trier hat bereits eine Gärtnerausbildung erfolgreich absolviert. Um seine beruflichen Chancen zu verbessern, hängt er nun eine dreijährige Lehre zum Floristen an. "Danach will ich den Meister im Gartenbau machen", sagt er. Hermann weiß, dass er mit dem Meistertitel dann auch studieren könnte, schließt das allerdings aus. "Ich liebe die Natur und meine Pflanzen über alles. Das ist meine Zukunft."Zukunft Bildung In der Region


Dass zu wenige junge Menschen derart fokussiert sind, bringt dem Handwerk Probleme. "Wir haben in der Region noch 700 Ausbildungsstellen frei", klagt Manfred Bitter. Der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Trier und Vorsitzende der Nikolaus-Koch-Stiftung ist ein wortgewaltiger Lobbyist, wenn es darum geht, für die Vorzüge von Handwerksberufen zu werben. Viele Eltern und Schüler wüssten einfach zu wenig von der Attraktivität der nichtakademischen Berufe. "Bei der Berufsförderung in den Schulen muss einfach mehr passieren."

Mit dem von Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Bildungsministerin Vera Reiß vorgestellten Konzept für einen verbindlichen Tag der Berufs- und Studienorientierung an weiterführenden Schulen in Rheinland-Pfalz (TV vom Mittwoch) scheint diese Forderung bei der Politik Gehör gefunden zu haben. Allerdings ist es nach den Vorstellungen der Handwerkskammer nur ein Schritt in die richtige Richtung. "Vor allem bei den Lehrern an den Gymnasien muss dafür geworben werden, dass Ausbildungsberufe attraktiv sind", sagt Bitter. Mit seiner Ansicht, nicht an allen Inte-grierten Gesamtschulen (IGS) müsse zwingend eine Oberstufe eingerichtet werden, hat er sich zwar mit der Schulaufsichtbehörde ADD (Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion) angelegt.

"Jede IGS muss eine Oberstufe haben, sonst wäre diese Schulform nicht komplett", verdeutlicht Brigitte Fischer, Leiterin der Abteilung für Kultur und Schule. In der Forderung, mehr für den Mittleren Bildungsweg zu werben, stimmt sie aber mit dem HWK-Chef überein: "Realschulen plus sind nicht die Schmuddelkinder des Schulsystems. Die machen sehr gute Arbeit."

Fischer ist wie Bitter eine Verfechterin der dualen Ausbildung, also der parallelen Ausbildung in Betrieb und Berufsschule. Sie war vor ihrem Wechsel zur Schulaufsichtsbehörde lange Jahre als Berufsschullehrerin aktiv, unter anderem als Leiterin der BBS Bernkastel-Kues. "Viele Eltern und Jugendliche wissen nichts von der dualen Ausbildung", sagt sie. "Aber es ist kein Wunder, dass der Wert von Berufen nicht erkannt wird. Jahrzehntelang lautete die politische Botschaft, auch ein Arbeiterkind muss studieren können. Nun heißt es plötzlich, Abitur ist für eine erfolgreiche Karriere gar nicht nötig."

Manfred Bitter spricht eine solche Aussage aus der Seele: "Wer im Handwerk gut ist, dem steht der Weg offen", ist er überzeugt. "Ein guter Meister in einem guten Betrieb verdient wesentlich mehr als viele Akademiker." Aber viele junge Menschen würden sich durch die gymnasiale Oberstufe und danach durch das Studium kämpfen, weil ihnen das nicht klar sei. "Es ist doch dramatisch, wenn Schulabbrecher zu den Hoffnungsträgern des Handwerks werden", sagt Bitter mit Blick auf die offenen Lehrstellen.

Die Schlüssel zu einem Umdenken sind leicht zugängliche Informationen und vor allem die Eltern, die möglichst frühzeitig eingebunden werden müssen. Das ist auch eine Erkenntnis der Studie "Zukunft Bildung" der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, die von der Nikolaus-Koch-Stiftung in Auftrag gegeben wurde: Unabhängige Bildungsberatung sei notwendig, um Transparenz über das Bildungssystem zu schaffen.

Möglichkeiten, an diese Informationen zu kommen, gibt es nicht nur bei der Agentur für Arbeit. Mit der Datenbank ReTriBuS zur Berufs- und Studienorientierung (siehe Extra) steht bereits eine digitale Informationsplattform mit mehr als 1000 Angeboten zu Schulen, Ausbildung und Studium in der Region Trier zur Verfügung. Besonders für Praktika in Betrieben und Hochschulen bietet ReTriBuS einen großen Fundus.

Erstellt wurde die Plattform im Rahmen des vom Bund und der EU von 2010 bis 2014 geförderten Projekts "Lernen vor Ort". Verwaltet und weiterentwickelt wird sie nun vom kommunalen Bildungsmanagement der Stadt Trier. Caroline Thielen-Reffgen war von Beginn an dabei. Spätestens seit 2010 ist also bekannt, wie schwierig es ist, die Möglichkeiten des Bildungssystems zum Allgemeinwissen zu machen. "Ich hatte verzweifelte Schüler bei mir, die nicht wussten, was alles mit einem Hauptschulabschluss möglich ist", sagt Thielen-Reffgen.Eine Frage der Verfassung

ADD-Schulreferentin Brigitte Fischer hat darauf eine Antwort: "Es gibt in unserem Land keine Sackgassen in der Bildung. Auch ein Gärtner kann Medizin studieren, wenn er das anstrebt."

In der Verfassung des Landes sind Schullaufbahnberatung, Berufswahlvorbereitung und Studienorientierung übrigens seit 2011 in einer Richtlinie festgeschrieben. Demnach soll jedem jungen Menschen zu einer Ausbildung verholfen werden, die seinen Begabungen, seinen Fähigkeiten und seinen Interessen entspricht. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klaffen noch Lücken.

Alle Beiträge der Serie "Zukunft Bildung in der Region" finden Sie in unserem Internet-Dossier . Extra

Die <b>Datenbank ReTriBuS (Region Trier: Berufs- und Studienorientierung) ist eine Plattform, die sowohl Angebote zur Studienorientierung der Hochschulen als auch Angebote zur Berufsorientierung in Unternehmen und anderen Organisationen bündelt. Die Daten stehen Schülern, Lehrern und Unternehmen zur Verfügung. Ziel ist es, alle Angebote zur Berufs- und Studienorientierung (Betriebserkundungen, Praktika, Infomessen oder Schnuppervorlesungen und Ferienakademien) auf einer Homepage zu bündeln. Mit vier Klicks soll das passende Angebot gefunden werden. Verantwortlich für ReTriBuS ist das kommunale Bildungsmanagement Trier. Extra

Die Bildungswege in Rheinland-Pfalz sind vielfältig. Auch für Handwerker ist der Weg ins Studium möglich. Viele Schüler und Eltern haben nur geringe Kenntnisse von den Möglichkeiten in einem Ausbildungsberuf. Gute Meister in guten Betrieben haben bessere Einkommen als viele Akademiker. r.n.

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