"Eltern dramatisieren zu schnell"

Hermeskeil · Medienexperte Tobias Brauchler bringt schon Kindern bei, wie sie Smartphone und Tablet nutzen können. Dennoch sieht er auch Gefahren. Am Samstag hält er einen Vortrag in Hermeskeil.

Hermeskeil Eltern dürfen Regeln setzen, aber nicht alles kontrollieren. Das betont Tobias Brauchler im Interview mit TV-Chefredakteur Thomas Roth immer wieder. Der 26-jährige Diplom-Pädagoge ist Medienexperte und kennt die Probleme in Familie und Schule, wenn Kinder ihre ersten Erfahrungen mit Smartphones und Tablets machen. Haben Sie Kinder?BRAUCHLER Nein, ich habe noch keine. Wer weiß, wie lange die noch warten.Warum wollen Sie mir dann eigentlich erklären, wie ich mit meinen Kindern umgehen soll?BRAUCHLER Diese Frage stellen mir immer wieder Eltern. Ich habe Pädagogik studiert und zusätzlich eine Qualifizierung zum Medienpädagogen absolviert. Mittlerweile bin ich zwei Jahre nur noch in diesem Bereich tätig und ziehe von Schule zu Schule, biete Workshops für Kinder, Eltern und Lehrkräfte an. Ich habe also viel Erfahrung sammeln können. Das Wichtigste ist aber etwas anderes: Ich weiß, was Kinder und Jugendliche machen. Und daher kann ich Eltern erklären, warum ihre Kinder so viele Stunden vor Smartphones oder etwa mit digitalen Spielen verbringen. Und natürlich hilft mir mein pädagogischer Hintergrund, wenn es darum geht, wie man mit Wünschen der Kinder umgehen kann und wie man ein gemeinsames Miteinander findet. Ist das denn einfach?BRAUCHLER Leider nicht, und ich habe ebenfalls kein Allgemeinrezept - es gibt keine fünf Schritte für jedes Kind. Ich bin eher derjenige, der die zwei Parteien zusammenbringen will. Schauen Sie, was Ihre Kinder wollen. Schauen Sie, was Sie wollen. Und dann suchen wir nach einem Weg, das zueinander zu bringen. Ich sehe mich hier als Diskussionsanleiter.Oft stellt sich schon früh die Frage: Ab wann braucht mein Kind ein Handy?BRAUCHLER Da gibt es viele unterschiedliche Meinungen. Ein eigenes Handy ist auf der weiterführenden Schule der Normalfall. Fünftklässler haben meistens ein Smartphone, nur Einzelne haben etwa in der sechsten Klasse noch keines. Für mich ist aber etwas anderes wichtiger: Es kommt weniger auf die Geräte an, sondern wie man sie einsetzt. Und wo sind da die Extreme?BRAUCHLER Ich habe vor kurzem eine Fortbildung bei Erzieherinnen geleitet. Die haben mir erzählt, dass die Kinder im Wagen das Smartphone in der Hand haben. Sie schauen YouTube-Videos auf dem Weg zum Kindergarten. Das ist ganz sicher nicht der richtige Weg. Medienerziehung kann schon im Kindergarten und in der Grundschule anfangen, dann muss ich aber die Kinder begleiten. Manchmal wird das Smartphone nur benutzt, um Kinder ruhig zu stellen. Darüber müssen wir als Gesellschaft diskutieren.Sie sagen aber, das Smartphone oder das Tablet kann schon im Kindergarten eingesetzt werden?BRAUCHLER Ja, man kann. Man muss aber nicht. Und der richtige Einsatz ist wichtig.Was gibt es dann für Möglichkeiten? Videos sind es ja nicht?BRAUCHLER Ja, und es hilft auch nicht, das Bauklötzchen-Spiel 1:1 auf dem Tablet umzusetzen. Es geht darum, die Möglichkeiten der Geräte richtig zu nutzen, etwa mit Trickfilmen. Ich kann, etwa im Kindergarten, den Jungen und Mädchen die Chance geben, mit Bildern die Welt zu erkunden. Ich gebe das Tablet und helfe. Es ist ja relativ simpel. Da ist der Knopf, dann machen wir ein Bild. Dann entsteht ein Video aus den Bildern. Wenn man Kinder so angeleitet auf Erkundungstour schickt, kommen spannende Dinge heraus. Ich habe das selbst ehrlicherweise vor allem mit Grundschülern gemacht, etwa Zweitklässlern. Die fahren darauf ab, vor allem, wenn man ihnen "magische Tricks" zeigt. Etwa, wenn Dinge aussehen, als ob sie schweben. So wird die Kreativität angeregt und nicht nur das Smartphone "benutzt".Wollen die Kinder bei Ihnen dann aber nicht doch spielen?BRAUCHLER Nein, ich hatte etwa in diesem Workshop Spiele zunächst gesperrt, dann aber freigegeben. Die Kinder waren aber mit dem Filmen beschäftigt. Wichtig ist, die Begeisterung zu schüren.Aber es gibt ja Kinder, die viel spielen. Oder wird bei den Gefahren übertrieben? Klappt denn vieles besser als wir Erwachsene denken?BRAUCHLER Ich glaube, eigentlich klappt vieles gut. Klar, es gibt Kinder, die einfach das Smartphone in die Hand gedrückt bekommen. Vor 20 Jahren gab es das übrigens auch schon, da wurden Kinder vor den Fernseher gesetzt und keiner kümmerte sich um sie. Das geht dann aber ja nicht vom Kind aus.Aber es gibt doch andere Fälle.BRAUCHLER Klar, gerade wenn es in die Vorpubertät und die Pubertät geht, kommt es zu Problemen. Wenn Kinder nur das Smartphone, nur die sozialen Medien als Lebensplattform sehen, dann ist es eine Herausforderung. Bei Netzwerken etwa muss man sich selbst präsentieren. Sonst ist man nicht hip. Vor allem mit Schülern rede ich darüber, ab wann dies gefährlich ist. Bei Eltern versuche ich, etwas Panik rauszunehmen. Da wird zu schnell dramatisiert. Es geht um das Alleinstellungsmerkmal. Sobald die Kinder keine anderen sozialen Kontakte mehr haben, keine Freunde mehr treffen, nicht mehr im Verein sind, wird es schwierig. Wenn jemand nur virtuelle Freunde hat, müssen Eltern oder Lehrer eingreifen. Das ist aber die Ausnahme. Im Normalfall sind Kinder und Jugendliche immer noch gut in die Familie eingebunden und in Freundeskreise. Aber ja, die spielen sehr viel. Manche Eltern wollen immer Bescheid wissen. Können und sollten sie alles überwachen?BRAUCHLER Es gibt Apps, die zeigen, was angeschaut wird. Und es gibt Kontrollmechanismen. Aber ich bin da zumindest auf Dauer kein Fan davon. Sicherheitsmechanismen lassen sich leicht umgehen - und spätestens wenn die Kinder bei Freunden sind, machen sie doch alles. Ich sage Eltern immer: Das hat etwas mit Vertrauen zu tun. Wenn ich mein Kind komplett kontrollieren will, muss ich es einsperren. Irgendwann sind Kinder dann aber doch in der freien Welt, spätestens in der Schule. Vertrauen ist etwas Gegenseitiges. Und Regeln müssen eine Relevanz haben. Hier bin ich gerne Mediator. Kinder müssen verstehen, welche Sorgen Eltern haben. Dann verzichten sie etwa auf eine App, die alle Daten abgreifen möchte.Können Kinder so etwas schon einschätzen? Viele Erwachsene wissen ja nicht einmal, wann ich welche Daten freigebe.BRAUCHLER Man kann es Kindern früh deutlich machen. Ich habe aber noch nicht gesehen, dass dies in der Gesellschaft angekommen ist. Eigentlich müsste man die Alt-68er und die Kids von heute in einen Raum sperren, bis die einen verstehen, was private Daten sind, und die anderen, warum digitale Technik nicht nur böse ist. Schon ein Grundschüler versteht übrigens vieles.Und wie gehen Sie da vor?BRAUCHLER Lassen Sie einen Schüler einen Fragebogen mit persönlichen Informationen ausfüllen. Was passiert, wenn er ausgefüllt ist? Nichts. Was passiert, wenn ich ihn im Klassenzimmer aushängen will? Da sagen schon die ersten, das will ich nicht. Und wie wäre es, wenn es die ganze Schule sehen würde? So verstehen schon die Jüngsten, warum es wichtig ist, bei persönlichen Daten so aufzupassen.Das klingt einfach, fast zu einfach.BRAUCHLER Ja, und die Realität sieht auch anders aus. Erst laden Kinder alles herunter und nutzen es. Und erst wenn sie älter sind - etwa in der elften Klasse -, sehen viele Jugendliche wieder, welche Probleme es gibt und was sie alles schon von sich gezeigt haben. Ich kann ja nur Tipps geben. Wichtig ist, dass Eltern und Lehrer die Kinder immer wieder darauf aufmerksam machen. Wenn das nicht passiert, laden sie sich doch wieder alles herunter. Das Problem muss in den Köpfen ankommen. Jeder muss seinen Standpunkt finden und entscheiden, wie viel er von sich freigibt.Ein Thema, das oft angesprochen wird, ist Cybermobbing. Hat das zugenommen? Und ist das nicht die Fortführung der schon immer üblichen Hänseleien?BRAUCHLER In den meisten Fällen ist es das. Und es werden immer Extremfälle wahrgenommen - etwa, wenn sich jemand das Leben nimmt. Da hat die Berichterstattung auch zugenommen. Der elementare Unterschied bei Hänseleien ist, dass Dinge, die früher im Klassenzimmer geblieben sind, jetzt in die Öffentlichkeit treten. Früher war auf dem Schulhof Schluss - und andere Freunde haben das gar nicht mitbekommen. Heute wird jemand verprügelt, da werden Videos gemacht - und verteilt. Aus dieser Öffentlichkeit gibt es kaum mehr ein Zurück.Was können Kinder oder Eltern denn dann machen?BRAUCHLER Das A und O ist, darüber zu sprechen. Es muss jemand zuhören - egal ob es Eltern, Freunde, Lehrer oder Sozialarbeiter sind. Und es gibt auch noch ein paar andere Stellen, etwa die "Nummer gegen Kummer" oder etwa die Internetseite Juuuport. Cybermobbing kann schnell isolieren, weil viele mitmachen können. Jeder teilt etwa das Bild. Das Alleinsein ist das Problem. Wenn man nur mit Hass konfrontiert ist, ist es ein Problem. Zudem ist es wichtig, sich darüber zu unterhalten, was zu tun ist. Wem kann ich es sagen? Wo kann ich Bilder und Kommentare melden und löschen lassen? Wenn ich Unterstützung habe, funktioniert das zum Glück besser. Und in den meisten Fällen langt das auch. Meistens verebbt der ganze Ärger dann. Das muss man aber tun - wer sich nicht Hilfe holt, ist wirklich hilflos. Und in den schlimmsten Fällen muss es eben Interventionen und Klassengespräche geben, vielleicht sogar die Polizei eingeschaltet werden. Das ist aber die ganz große Ausnahme. Thomas RothLinks: <%LINK auto="true" href="http://www.nummergegenkummer.de" text="www.nummergegenkummer.de" class="more"%> <%LINK auto="true" href="http://www.juuport.de" text="www.juuport.de" class="more"%>Interview Tobias Brauchler Extra: REGIONALER BILDUNGSTAG IN HERMESKEIL

Beim zweiten regionalen Bildungstag wird Medienexperte Tobias Brauchler am Samstag in der IGS Hermeskeil einen Vortrag über "Nutzen und Gefahren von sozialen Netzwerken" halten. Die Veranstaltung unter dem Motto "Kommunikation für alle mit allen" startet um 10 Uhr, der offizielle Teil mit Begrüßungen beginnt gegen 10.30 Uhr, gegen 11 Uhr wird dabei Reformpädagoge Otto Herz einen Vortrag halten. Nach der Mittagszeit, bei der einige Marktstände geöffnet haben, wird Tobias Brauchler gegen 13 Uhr ein Impulsreferat halten, anschließend gibt es die Möglichkeit zur Diskussion mit ihm. Moderator ist dabei TV-Chefredakteur Thomas Roth. Die Veranstaltung organisiert der Regionalelternbeirat Trier. Schirmherr ist Dr. Josef-Peter Mertes, ehemaliger Präsident der ADD Trier. Jeder kann teilnehmen, allerdings ist eine Anmeldung per Mail unter schladweiler@t-online.de erwünscht.

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