Kaufen bis zur Pleite

Berlin · ´Vielen Menschen macht einkaufen Spaß. Manche kommen aus dem Kaufrausch jedoch nicht wieder raus. Was tun, wenn der Konsum zur Sucht wird?

 Sich ab und an mal ein neues Teil zu gönnen – das ist ganz normal. Aber wenn sich das Kaufen von neuen Kleidungsstücken oder anderen Konsumgütern verselbstständigt, brauchen Betroffene Hilfe. Foto. dpa

Sich ab und an mal ein neues Teil zu gönnen – das ist ganz normal. Aber wenn sich das Kaufen von neuen Kleidungsstücken oder anderen Konsumgütern verselbstständigt, brauchen Betroffene Hilfe. Foto. dpa

Foto: Christin Klose (dpa-tmn)

Berlin (dpa) Hier ein neues Kleid, dort ein paar Schuhe - meist beginnt es ganz harmlos. Doch manche Menschen geraten irgendwann in einen Kaufrausch, den sie nicht mehr kontrollieren können. Sie shoppen auch, was sie nie benutzen, und horten Unmengen sinnloses Zeug. Das Problem: Auf Dauer verschulden sich die Betroffenen.
Menschen mit pathologischem Kaufverhalten benötigen deshalb unbedingt Unterstützung, sagt Professor Nina Romanczuk-Seiferth, leitende Psychotherapeutin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité. Dafür braucht es aber die Erkenntnis, dass aus harmlosen Shoppingtouren eine Sucht geworden ist.
Kaufsucht gehört zu den sub-stanzungebundenen Abhängigkeiten. Im Gegensatz zu Drogenabhängigkeit ist der Betroffene nicht nach einer Substanz wie Kokain oder Alkohol süchtig, sondern nach einer Tätigkeit. Die Mechanismen gleichen sich aber, erklärt Professor Astrid Müller von der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover. In beiden Fällen feuert das Belohnungssystem, wenn der Süchtige mit seinem Suchtstoff konfrontiert wird - egal, ob es sich um eine Flasche Wein handelt oder um ein neues Paar Schuhe.
Trotzdem gibt es bisher nur eine substanzungebundene Abhängigkeit, die als Krankheit anerkannt ist: die Glücksspielsucht. "Andere Abhängigkeiten wie die Kaufsucht werden bagatellisiert", sagt Müller. Eine Metaanalyse auf der Basis von Studien aus unterschiedlichen Ländern ergab, dass im Mittel rund fünf Prozent der Bevölkerung kaufsüchtig sind.
Professor Karl Kollmann, der unter anderem für die österreichische Arbeiterkammer zum Thema Kaufsucht geforscht hat, ist überzeugt: "Gesellschaftlich und kulturell besteht der Anspruch, auf allen Ebenen ein erfülltes Leben zu führen." Das erzeuge Druck, für den viele Menschen einen Ausgleich suchen: Nach einem stressigen Arbeitstag belohnen sie sich mit dem Kauf eines neuen Pullovers.
Der Konsum sei die simpelste Medizin, um Frustration aus dem Alltag zu kompensieren, erklärt Kollmann: "Ich entschädige mich dafür, indem ich mir etwas kaufe, das mir gefällt."
Das an sich ist kein Problem. Bei Menschen mit Kaufsucht verselbstständigt sich dieser Mechanismus jedoch. "Aus einem "Liking" wird ein "Wanting"", erklärt Müller. Dann macht kaufen keinen Spaß mehr, es befriedigt nur noch einen Drang - und vertreibt Langeweile.
Verstärkt wird das Phänomen durch die Möglichkeit, auch online einzukaufen - ungesehen, per Mausklick und ohne Bargeld. "Es ist davon auszugehen, dass dadurch die Schwelle für exzessives Kaufverhalten bei bestimmten Betroffenen erniedrigt wird", erklärt Psychotherapeutin Romanczuk-Seiferth.
Für jemanden, der mit einem Kaufsüchtigen zusammenlebt, ist schwer zu verstehen, was da passiert: Schon wieder neue Schuhe? Neue Technik, die niemand nutzt? Dass eine Erkrankung dahinterstecken könnte, vermuten die wenigsten. "Anders als Drogensüchtige wirkt der Kaufsüchtige ja keineswegs verwahrlost", sagt Müller. Im Gegenteil: Betroffene sind häufig besonders gut gekleidet.
Von ihrem Umfeld werden sie allenfalls für willensschwach gehalten - eine Stigmatisierung, unter der sie leiden. "Betroffene haben häufig Schuldgefühle und schämen sich", sagt Romanczuk-Seiferth. Auch gegenüber engen Vertrauten verharmlosen, rechtfertigen oder verheimlichen sie ihre Kaufexzesse.
Romanczuk-Seiferth rät Angehörigen, das Kaufverhalten offen anzusprechen und dem Betroffenen zu helfen, sich seine Probleme einzugestehen. Für Angehörige sei wichtig, auf sich selber zu achten und wenn nötig ebenfalls Unterstützung zu suchen. Selbsthilfegruppen gibt es nicht nur für Süchtige, sondern auch für Angehörige.
Geeignete Beratungs- und Behandlungsangebote für Kaufsüchtige sind in Deutschland allerdings rar, sagt Müller: "Die Versorgungslage ist miserabel." Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für eine Kaufsucht-Therapie nicht.
Während der Therapie analysieren die Teilnehmer, in welchen Situationen sie unkontrolliert kaufen. "Dann suchen wir nach Wegen, sich auf andere Weise zu belohnen als durch den Kauf eines unnötigen Kleidungsstücks." Ist die Therapie abgeschlossen, sei es ratsam, sich eine Selbsthilfegruppe zu suchen. "Kaufsüchtige sind wie alle anderen Süchtigen nie vollständig geheilt", stellt Müller klar. Sie müssen mühevoll lernen, ihre Impulse besser zu kontrollieren, und diese Kontrolle ein Leben lang aufrechterhalten.

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