Wenn man sich nicht versorgen kann

Seit Januar gelten neue Grade statt Stufen für die Berechnung der Pflegebedürftigkeit. Das bringt Verunsicherung mit sich. So können viele Bedürftige und Angehörige die komplizierten Gutachten besser verstehen.

Keine Pflege mehr nach Minuten, die Berücksichtigung auch geistiger Einschränkungen wie Demenz und der Bedarf an personeller Hilfe im Alltag: Dies alles sind Kriterien, die das neue Pflegestärkungsgesetz mit dem 1. Januar eingeführt hat. "Lange haben Pflegebedürftige darauf gewartet. Nun ist er endlich da: der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff", sagt Meret Lobenstein vom Referat Gesundheit und Pflege bei der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz in Mainz. Die Folge: Aus den seit Januar geltenden neuen Regelungen zur neuen Begutachtung und zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit "ergeben sich nun für Angehörige und Betroffene viele Fragen".
Wie erfolgt künftig die Zuordnung in die neuen Pflegegrade? Welche Leistungen gibt es?
Hauptpunkte: Statt drei Pflegestufen gibt es nun fünf Pflegegrade. Entscheidend ist, wie viel personelle Hilfe der Betroffene benötigt, wie selbstständig er also seinen Alltag bewältigen kann. Daraus ergibt sich eine neue Definition von Pflegebedürftigkeit, denn nun gilt es auch zu bewerten, wie groß der Bedarf an individueller Betreuung und Beaufsichtigung bei der Tagesgestaltung ist. Insgesamt sechs Lebensbereiche mit 64 Kriterien wie die geistige Einschränkung müssen nun berücksichtigt werden: Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhalten, Selbstversorgung, Gestaltung des Alltags und Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen. Folglich ist jemand mit Pflegegrad 1 noch nicht pflegebedürftig, wohl aber auf Unterstützung bei Körperpflege und im Haushalt angewiesen.
Folgen: Weil nun neue und weitreichendere Kriterien gelten und die Begutachtung umfassender als bisher ist, "ist die Berechnung des Pflegegrades schwieriger zu verstehen", stellt die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz gut sechs Wochen nach Einführung der neuen Pflegegrade fest. Sie rät Verbrauchern, sich auf die neue Begutachtung vorzubereiten und Widerspruch einzulegen, falls Betroffene das Ergebnis nicht nachvollziehen können oder es für falsch halten. Der Medizinische Dienst des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen schätzt sogar, dass künftig lediglich fünf Prozent der Antragsteller den höchsten Pflegegrad 5 erreichen. Zwölf Prozent der Betroffenen werden wohl in Pflegegrad 4 eingestuft. Der Großteil wird sich auf die Grade 2 (33 Prozent) und Pflegegrad 3 (22 Prozent) verteilen. Heißt: Nur die Härtefälle aus der ehemaligen Pflegestufe III werden wohl im Pflegegrad 5 landen.
Private Pflegeversicherungen: Viele Unklarheiten betreffen auch die privaten Pflegeversicherungen: "Mit dem neuen Pflegestärkungsgesetz stellen auch private Pflegeversicherungen ihre Tarife um", sagt Renate Schröder, Beraterin der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz in Trier. Teilweise gehe es um Beitragsanpassungen zwischen zehn und 50 Prozent. "Ein aktueller Preis-Leistungs-Vergleich ist jedoch noch nicht möglich, weil noch nicht alle Gesellschaften ihre Verträge umgestellt haben", sagt sie. Dennoch gelte es, die Verträge genau zu prüfen und auf den eigenen Bedarf abzustellen (siehe Info). "Denn bei Pflegebedürftigkeit zahlt die gesetzliche Pflegeversicherung häufig nur die Hälfte der anfallenden Kosten."
Schröder weiß: "Viele Versicherte sind nun verunsichert", da der Versicherungsschutz teilweise in einzelnen Pflegegraden gekürzt wurde, die Anpassungen deshalb oft schwer nachvollziehbar seien. Erlaubt ist es etwa, den Beitrag zu erhöhen oder die Leistung zu verändern, willkürlich darf dies jedoch nicht geschehen.PRIVATER PFLEGEZUSATZ


Extra

(sas) Die gesetzliche Pflegeversicherung übernimmt oft nur einen Teil der Pflegekosten. Der Rest muss aus eigener Tasche bezahlt werden. Reichen Rente und Vermögen nicht aus, muss das Sozialamt zahlen. Auch Partner und Kinder können belangt werden. Wer vorsorgen will, kann den Pflegefall privat absichern. "Dies ist zu empfehlen, wenn im Pflegefall eine Versorgungslücke zu erwarten ist", sagt Verbraucherschützerin Renate Schröder. Allerdings sei es wichtig, dies in jungen Jahren abzuschließen. Zudem sollte dies erst geschehen, wenn die Existenz durch eine Privathaftpflicht und einen Berufsunfähigkeitsschutz abgesichert ist. Angeboten werden Pflegetagegeld, Pflegekosten- und Pflegerentenversicherung. Laut der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz liegen die Kosten für eine Pflegerente höher als beim Pflegetagegeld, das zudem auch flexibler gehandhabt werden könne. Mit Berücksichtigung der durchschnittlichen aktuellen Eigenanteile in Heimen im Land gehen die Verbraucherschützer beim Pflegegrad 1 von einem Eigenanteil von monatlich 2500 Euro aus, bei Pflegegrad 2 bis 5 von 2100 Euro.

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