Wenn nachts der Kühlschrank lockt

Sind Sie auch schon einmal nachts aufgewacht und haben den Kühlschrank geplündert? Wenn dies ein Einzelfall war, macht das nichts. Kommt es jedoch regelmäßig vor, kann es sich um eine ernstzunehmende Essstörung handeln. Wie äußert sich eine solche nächtliche Ess attacke und wo gibt es Hilfe?

Trier. (red) Die meisten Menschen sind nachts schon einmal aufgewacht und haben, als sie nicht wieder einschlafen konnten, eine Kleinigkeit gegessen. Bis hierhin ist das noch nichts Ungewöhnliches. Einige Menschen stehen jedoch regelmäßig nachts auf und essen dann nicht nur eine Kleinigkeit, sondern schlemmen hemmungslos. Dieses Verhalten nennen die Wissenschaftler "Night Eating Syndrom". Wir betrachten dieses Verhalten einmal genauer und gehen auch der Frage nach, ob in diesem Fall eine Essstörung vorliegt. Süßes und Herzhaftes in großen Mengen

Wie äußert sich das Night Eating Syndrom? Charakteristisch für das Night Eating Syndrom (NES) ist, dass morgens gar nichts oder nur sehr wenig gegessen wird. Tagsüber kommt ebenfalls nicht viel, aber dafür häufig sehr Gesundes auf den Teller. Am Abend vor dem Zubettgehen oder in der Nacht kommen dann die Essanfälle. Die meisten Menschen, die ihren Schlaf unterbrechen, um zu essen, tun dies in einem bestimmten Rhythmus, zum Beispiel immer gegen 4 Uhr. Der Schlaf wird durchaus viermal und öfter zum Essen unterbrochen. Am nächsten Tag können sich die Betroffenen genau an ihren Ausflug zum Kühlschrank erinnern. Besonders häufig treten die Heißhungerattacken bei Nacht in stressigen oder belastenden Zeiten auf, oft liegen gleichzeitig Depressionen vor. Bei den Essattacken wird Süßes bevorzugt, es wird aber auch Herzhaftes gegessen, wenn nichts anderes vorhanden ist. NES - eine neu entdeckte Essstörung? Das Night Eating Syndrom wird bisher lediglich einem auffälligen und problematischen Essverhalten zugeordnet. Offiziell zählt es noch nicht zu den Essstörungen. Dennoch wird es in der Wissenschaft als eine spezielle Form der "Binge Eating Disorder", bei der Essattacken ohne anschließendes Erbrechen wiederholt vorkommen, diskutiert. Essanfälle werden ausgelebt

Im Gegensatz zu vielen anderen Essstörungen wie Bulimie und Anorexia nervosa (Magersucht) gibt es beim Night Eating Syndrom keine Kompensationsversuche. Die Essanfälle werden ausgelebt, danach wird weder gehungert noch werden Abführmittel genommen oder extrem Sport getrieben, um die aufgenommenen Kalorien wieder loszuwerden. Das Night Eating Syndrom scheint viel häufiger vorzukommen als zunächst vermutet. In den meisten Fällen sind Übergewichtige betroffen. Experten schätzen, dass bis zu 20 Prozent aller Übergewichtigen nachts unter Essanfällen leiden. Daher wird das Syndrom als eine wichtige Ursache für die Entstehung von Übergewicht angesehen. Die Ursachen für das Night Eating Syndrom sind bisher nicht abschließend geklärt. Es wird diskutiert, ob eine genetische Disposition bei der Entstehung des NES eine Rolle spielt. Aber auch bestimmte Lebensumstände wie Schichtarbeit können offensichtlich zur Entstehung beitragen. In manchen Fällen beginnt alles mit Schlafstörungen, die durch seelische Unruhe ausgelöst werden. Die Betroffenen versuchen, die Schlafunterbrechung mit Essen zu füllen. Nach wiederholtem Auftreten wird dieses Verhalten dann irgendwann zur Gewohnheit. Auch das gezügelte Essverhalten wird in der Literatur als eine mögliche Ursache diskutiert. Die Betroffenen kontrollieren den ganzen Tag über sehr stark ihre Nahrungsaufnahme. Abends oder erst nachts wird der Hunger zu groß, die Kontrolle schwindet, und die Betroffenen essen hemmungslos. Wer sich selbst von den nächtlichen Essattacken befreien möchte, braucht reichlich Disziplin und Durchhaltevermögen. Je länger Betroffene unter dem Syndrom leiden, desto schwieriger ist die Heilung. Sowohl der Schlaf als auch das Essverhalten müssen therapiert werden. Oft ist eine psychologische Therapie notwendig. Über das Night Eating Syndrom ist bisher noch wenig bekannt. Daher sind klare Therapieratschläge schwierig. Sicher ist, dass sich der Schlaf-Wach-Rhythmus normalisieren muss. Das heißt, dass die Betroffenen wieder lernen müssen, durchzuschlafen. Außerdem sollte über den Tag verteilt regelmäßig genügend gegessen werden. Wenn nachts der Kühlschrank ruft und ein Widerstehen unmöglich scheint, sollten Lebensmittel wie Obst oder Gemüse bereitstehen. Fazit: Auch wenn das Night Eating Syndrom bisher noch nicht zu den Essstörungen zählt, so ist es häufig (Mit-)Ursache für Übergewicht und sollte therapiert werden. Da die Selbsthilfe viel Konsequenz und Stärke erfordert, ist es sinnvoll, sich Hilfe durch Ernährungswissenschaftler, Psychologen oder Ärzte zu holen. Zum Thema Binge Eating Disorder ist 2007 im Beltz Verlag ein Buch erschienen: "Das Leben verschlingen". Darin gibt es eine erste Hilfe für Betroffene. Experten-chat Heute Experten-Chat für alle TV-Leser: Haben auch Sie noch Fragen zu diesem Thema? Heute, Donnerstag, ist von 10 bis 11 Uhr Ernährungsexpertin Katrin Klein esper (Foto: privat) im Chat für die Volksfreund-Leser zu erreichen unter www.volksfreund.de/abnehmen. Am Montag, 26. Mai, ist von 18 bis 19 Uhr Ernährungsexpertin Nicole Hoenig im Internet zu erreichen.

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