Ablenkungsmanöver

Eigentlich dürfte es die aktuelle Diskussion gar nicht geben. Denn die Regeln zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin sind klipp und klar. Im Vertragstext von Maastricht aus dem Jahr 1992 steht: Wer den Euro als Gemeinschaftswährung einführen will, muss als Konvergenzkriterium die Drei-Prozent-Grenze einhalten.

Heißt: Netto darf Vater Staat nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes als Kredite aufnehmen. Damit nicht genug. Deutschlands damaliger Finanzminister Theo Waigel hatte 1997 durchgeboxt, Defizitsünder per blauem Brief frühzeitig zu warnen und zur Haushaltsdisziplin zu zwingen. Unvorstellbar damals, dass der Musterschüler Deutschland 2005 zum vierten Mal in Folge gegen diesen Stabilitätspakt verstoßen würde. Oder dass in diesem Jahr immerhin sechs der zwölf Euro-Länder an der Drei-Prozent-Grenze scheitern können. Deshalb aber den Stabilitätspakt über den Haufen zu werden und - je nach Kassenlage - mal mehr, mal weniger streng zu handhaben, führt am Ziel vorbei. Nicht nur, dass sich die Bundesregierung damit einen Bärendienst erweist. Schon heute reicht das Wachstum in Deutschland nicht aus, um die Zinsen auf die Staatsschulen zu verdienen. Warum also weiter Schulden machen, die die nachfolgenden Generationen unnötig, unverschuldet und zusätzlich belasten? Folglich wäre dies kein Signal zur Investition in die Zukunft, sondern ein Mittel, von den aktuellen Strukturproblemen abzulenken. Zudem scheint der Bundesregierung das Hemd und damit die bundespolitische Stimmung näher als die Hose und damit das Projekt Europa zu sein. Mit einem Weichklopfen des Stabilitätspaktes geht nämlich an die neuen EU-Länder aus Mittel- und Osteuropa das klare Signal aus: Es besteht keinerlei Notwendigkeit, sich anzustrengen und den Stabilitätspakt einzuhalten. Hier muss die EU-Kommission Weichen stellen und nicht nur Strafen androhen, sondern auch hart bleiben. Doch diesen Schritt hat sie wieder einmal - nachdem Deutschland und Frankreich die Kommissare bereits im November über den Tisch gezogen haben - auch bei Italien nicht gewagt. Ein weiterer Sargnagel für den Stabilitätspakt. s.schwadorf@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort