Ach Europa, du hast es schwer

Die einen schreien Zetermordio, die anderen Hurra. Die einen üben sich in Krähwinkelei, die anderen in Superstaat-Fantasien. Die einen wollen mehr EU, die anderen meinen, es gebe mehr als genug. Mittenmang die Pragmatiker, verzweifelt um eine Lösung ringend. Ach Europa, du hast es schwer! Und du machst es uns schwer.

Wir wissen: Es geht nicht ohne dich. Du hast dem Kontinent den Frieden gebracht, du hast uns den Binnenmarkt beschert und den Euro. Und doch: So manchen mürbt das Elend. Die EU ist zerstritten, die Risse nur mühsam zu kitten - das hat die Brüsseler Gipfel-Qual offenbart.Was ist das bloß für ein Verein? Die meisten eingeschriebenen Mitglieder würden gerne enger zusammenarbeiten, doch es gibt ein paar, die sich beharrlich verweigern - und den Rest jederzeit ausbremsen können. Das soll demokratisch sein? Puh!

Ein Hauen und Stechen. Offene und versteckte Drohungen. Finten und falsche Fährten. Gutes Zureden und Nachgeben. Am Ende sehen sich Polen und Briten, in nationalen Egoismen schwelgend, auch noch belohnt - weil die Koalition der Willigen nachgibt und, angeführt von Angela Merkel, bis zur Schmerzgrenze auf die Kraft der Diplomatie vertraut, die Kunst, wie der Franzose Felix Faure spottet, einen Hund so lange zu streicheln, bis Maulkorb und Leine fertig sind.

Nach dem Marathon-Streit, natürlich, nur lächelnde Gewinner: Die deutsche Kanzlerin lässt sich als Retterin Europas feiern. Frankreichs Sarkozy klopft sich ob seiner Vermittler-Qualitäten selbst auf die Schulter. Briten-Premier Blair beklatscht seinen letzten Coup. Luxemburgs Juncker gibt sich zerknirscht, doch er hat - wieder einmal - den Blockade-Knoten zerschlagen. Sogar der polnische Quadratwurzel-Querulant Kaczynski, der zuvor noch sterben wollte, sollte Europa seine Forderungen nicht erfüllen, zieht quietschvergnügt von dannen.

Es bleibt die Erkenntnis: Der "große Wurf" lässt sich nicht zwingen, die Dinge werden hin und her gewendet, verhandelt, zerredet, gefleddert, verwässert. Am Ende ein Kompromiss auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, und der Kuchen ist so geteilt, dass jeder meint, er habe das größte Stück bekommen.

Keine Fahne. Keine Hymne. Keine Verfassung. Keine Gesetze. Kein Außenminister. Oder vielleicht doch, nur anders genannt. Die Symbole sind tabu, werden faktisch aber beibehalten. Das Wort "Verfassung" ist gestrichen, es ist jetzt von neuen "Grundlagenverträgen" die Rede. Ein verschwurbelter Paragrafendschungel, in der Substanz aber der alte Entwurf, den Briten, Tschechen, Polen einst verschmähten, den Franzosen und Niederländer per Referendum stoppten. "Gesetze" erlässt die EU auch fürderhin nicht, sondern wie bisher "Richtlinien" und "Verordnungen". Und: Ein "Außenminister", der auf Wunsch der Briten aber nicht so heißen darf, tritt künftig als "Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik" auf der weltpolitischen Bühne auf.

Derlei Gerangel nervt und befördert die Europa-Unlust der Menschen. Immerhin: Die bleierne Zeit ist vorbei, die Lähmung überwunden - und nach zwei Jahren völliger Erstarrung hat sich die EU auf Spielregeln verständigt, die es erlauben, sich mit den wahren strategischen Herausforderungen zu befassen: Wie gehen wir mit Großmächten wie China oder Indien um? Wie definieren wir das Verhältnis zum unbequemen Russland? Was fällt uns zu den Krisenherden im Nahen und Mittleren Osten ein? Wie begegnen wir dem Klimawandel? Die Macher Europas haben reichlich Gelegenheit zu beweisen, dass sie mehr können als streiten.

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