Ältere haben künftig bessere Karten

BERLIN. Wer wegen seines Geschlechts, der Hautfarbe, Religion, sexuellen Identität oder einer Behinderung benachteiligt wird, soll künftig auf Schadenersatz klagen können. Das sieht der Entwurf zum Antidiskriminierungsgesetz der Koalitionsfraktionen vor, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.

Müssen Damenfriseure künftig auch Männer bedienen? Kann sich eine Wohnungsgesellschaft einem potenziellen Mieter verweigern? Spielt die Konfession in einem kirchlichen Kindergarten überhaupt noch eine Rolle? Und wie steht es um einen Restaurantbesitzer, der keinen Seniorenteller auf seiner Speisekarte hat? Wann immer es in letzter Zeit um das anstehende Antidiskriminierungsgesetz ging, schossen Ängste und Bedenken ins Kraut. Verbände und Organisationen befürchteten eine gigantische Prozesslawine. Nun ist das Paragrafenwerk beratungsreif, und die zuständigen Fachleute der Regierungskoalition waren bei der Präsentation gestern in Berlin eifrig um Entwarnung bemüht. Die Vorlage sei "sehr lebensnah”, beteuerte der SPD-Politiker Olaf Scholz. 95 Prozent aller Bürger und Unternehmen würden keinerlei Problem damit haben, weil sie sich schon jetzt daran hielten. Der Rest komme allerdings in Schwierigkeiten, so Scholz. Betroffene hätten dann einen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadenersatz. Künftig sollen die Bürger bei der Arbeit und im Privatbereich nicht mehr aus Gründen ihrer Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung sowie des Alters und der sexuellen Identität benachteiligt werden. Rot-Grün setzt damit mehrere EU-Richtlinien um, die allerdings zum Teil deutlich geringere Standards verlangen. So hatte Brüssel beim Privatrecht nur die Kriterien Rasse und ethnische Herkunft vorgegeben. Dennoch gibt es zahlreiche Lebenslagen, die vom neuen Gesetz unberührt bleiben. Das gilt für den Damenfriseur genauso wie für die Speisekarte im Restaurant. Auch ein evangelischer Kindergarten muss in Zukunft keine katholischen Sprösslinge aufnehmen. Und in einer Tiefgarage darf es auch weiter Frauenparkplätze geben. Wer jedoch zum Beispiel einen Ausländer als Mieter ablehnt, obwohl freier Wohnraum vorhanden ist, kann mit einer Klage rechnen. Auch eine Versicherung darf keinen Vertrag verweigern, nur weil der Kunde homosexuell ist. Für Arbeitgeber wird es ebenfalls schwerer, Frauen prinzipiell niedriger zu entlohnen oder Älteren einen Job zu verweigern. Gegen gängige Inserate, nach denen der Bewerber maximal 35 sein darf, kann etwa ein 55-Jähriger durchaus vor Gericht ziehen. Eine Erfolgsgarantie ist damit allerdings nicht verbunden. Denn auch in solchen Fällen hat der Diskriminierungsschutz seine Grenzen. Einen prinzipiellen Einstellungsanspruch sieht das Gesetz nicht vor. Ist für den zu besetzenden Job zum Beispiel eine jahrelange Ausbildung notwendig, hätte der ältere Interessent das Nachsehen. Auch ein Hauseigentümer muss nicht an einen Afrikaner vermieten, wenn es sich dabei um eine Einliegerwohnung handelt. Anders liegt der Fall bei einer Wohnungsgesellschaft, die über zahlreiche Unterkünfte verfügt. Zur Durchsetzung ihrer Rechte können sich Benachteiligte bei Gericht auch von Verbänden (zum Beispiel Gewerkschaften oder Frauenorganisationen) vertreten lassen. Das größte Problem dürfte freilich der Nachweis einer Benachteiligung sein. Das räumte auch der grüne Rechtspolitiker Volker Beck ein. Fest steht, dass die Richter mit dem Gesetz einen großen Ermessensspielraum bekämen. Möglichweise ist die Vorlage nicht der Weisheit letzter Schluss. SPD-Mann Scholz kündigte ein parlamentarisches Verfahren "mit vielen Anhörungen” an. Experten können dort ihre Bedenken vorbringen.

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