Alles andere als ruhig

Die Lage im Norden Afghanistans und in der Hauptstadt Kabul sei "nicht ruhig und nicht stabil". So beschreibt die Bundesregierung gebetsmühlenartig seit Langem die Situation der 2700 Bundeswehrsoldaten, die an der internationalen Mission Isaf teilnehmen.

Die Darstellung ist außerordentlich beschönigend. Am Donnerstag übernehmen die Deutschen das Kommando für die Nordregion des Landes. Der gefährlichste Friedenseinsatz in der Geschichte der Bundeswehr wird damit noch ausgeweitet. Gestern erst gab es schwere Ausschreitungen in der Hauptstadt Kabul mit mehr als 20 Toten. Im Süden forderten heftige Kämpfe zwischen US-Truppen und Aufständischen 50 Todesopfer. So geht es seit Wochen mit sich verschlimmernder Tendenz. Die Lage ist in Wahrheit alles andere als ruhig und stabil. Die Bundesregierung besitzt über Afghanistan zwei Arten von Wissen. Eines für die Bürger. Es besagt, dass der Aufbau langsam vorangeht und die Kabuler Regierung in den Regionen "graduell" an Durchsetzungsfähigkeit gewinnt. Das interne Wissen hingegen spricht von zunehmender Sorge über die militärische Lage. Es sagt, dass Präsident Karsai über kaum mehr als Kabul herrscht und es gibt zu, dass man die Bekämpfung des Drogenanbaus den afghanischen Sicherheitskräften überlassen hat - die freilich nicht viel ausrichten können. Der künftige deutsche Kommandeur der Nordregion, General Kneip, hat nun aus dem internen Wissen geplaudert: Er hat eingeräumt, dass der deutsche Einsatz noch ein Jahrzehnt lang notwendig sein werde. Derzeit bewilligt der Bundestag in jedem Herbst die Verlängerung der Mission um weitere zwölf Monate - ein Routinebeschluss. Man tut weiterhin so, als sei der Einsatz zeitlich begrenzt. Tatsache aber ist, dass Einsätze wie dieser, die der nation-building dienen, also dem Wiederaufbau, immer unkalkulierbar sind. Darüber ist nie diskutiert, geschweige denn abgestimmt worden. Es mag sein, dass es keine Alternative gibt. Aber die deutsche Öffentlichkeit hat spätestens mit der Übernahme des Kommandos im Norden Anspruch auf eine Zwischenbilanz. Und sie sollte nach nun fast fünf Jahren und 18 toten Bundeswehrsoldaten endlich erfahren, wie lange dieses Engagement noch dauern wird. Es hat schon geringere Anlässe für Regierungserklärungen der Kanzlerin gegeben. nachrichten.red@volksfreund.de

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