Alternder Rebell

Guido Westerwelles Lieblingsspruch lautet: "Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt's einen, der die Sache regelt." Das ist die Abwandlung eines Weckrufs aus der Seefahrt und im Original übrigens eine ziemliche Zote.

Guido Westerwelle fügte nach seiner Wahl zum FDP-Vorsitzenden hinzu: "Und das bin ich." Seit dem Tod seines Widersachers Jürgen W. Möllemann und dem Wegloben Wolfgang Gerhardts ist der 46-jährige ewig junge Bonner tatsächlich die unangefochtene Nummer Eins der Liberalen. Und dennoch wächst, wie sich vor dem gestrigen Dreikönigstreffen in Stuttgart zeigte, der Frust. Von "One-Man-Show" ist intern die Rede, und dass die FDP zu wenig warmherzig wirke. Formal kann Westerwelle solche Anwürfe leicht zurückweisen. Die FDP ist die einzige Partei, die Mitglieder hinzugewinnt, sie liegt stabil bei rund zehn Prozent in den Meinungsumfragen und hat bei fast allen zurückliegenden Landtagswahlen gute Ergebnisse erzielt. Das ist Westerwelles Bilanz. Aber solche Argumente werden ihm auf Dauer nichts nützen. Westerwelles Problem ist, dass er die Lebenslust und Vielfalt der FDP mit seinem auftrumpfenden Selbstbewusstsein langsam erstickt. Er ist einer der talentiertesten Rhetoriker des Bundestages, bissig, sarkastisch, spitz. Er geriert sich als Rebellenführer der unterdrückten Mitte der Gesellschaft. Er sieht den Sozialismus in Deutschland massiv auf dem Vormarsch. Er erklärt alle anderen Parteien, letztlich auch die Union, für links, unmarktwirtschaftlich und nicht freiheitlich. Nur die FDP sei anders. "Hier steht die Statue der Freiheit", sagte er vor einem halben Jahr beim Parteitag in Stuttgart. Kein Vergleich ist ihm zu schade, keine Übertreibung zu stark. Dabei wechseln die Themen seiner apokalyptischen Warnungen häufig. Und sein Generalsekretär Dirk Niebel macht es ihm nach, setzt die Große Koalition mit der Nationalen Front der DDR gleich und sieht in der Lebensentscheidung Franz Münteferings für seine kranke Frau den Anfang vom Ende der Großen Koalition. Oft bewegt sich die Beißlust der FDP-Spitze an der Grenze zur Geschmacklosigkeit. Und zunehmend wirkt das laute Bellen wie Kläffen - weil die Machtperspektive fehlt. Fast zehn Jahre lang ist die FDP, die in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands fast immer mitregierte, auf Bundesebene nun schon in der Opposition. Der Vorsitzende ist stolz darauf, 2005 die Avancen von Gerhard Schröder zur Bildung einer Ampelkoalition abgelehnt zu haben, nicht umgefallen zu sein. Nun reißt er weit vor der nächsten Wahl schon wieder mit Eifer alle Brücken zu möglichen Partnern ein, sowohl zu einer Ampelkoalition als auch zu einer Zusammenarbeit mit Union und Grünen. Schwarz-gelb oder gar nicht, das ist erneut seine Devise. Derweil liebäugelt die CDU in Hamburg bereits mit den Grünen, ohne FDP. Die FDP-Mitglieder aber möchten nicht als ewige Rebellenarmee mit einem alternden Jungführer an der Spitze im Dschungel enden. Sie möchten wieder seriös mitregieren. Westerwelle setzt zum zweiten Mal alles auf eine Karte. Sticht sie nicht, hat er 2009 keine mehr. nachrichten.red@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort