Amerika im Glashaus

Es war das Wochenende der Hiobsbotschaften für die "Koalition der Willigen" - geprägt von Bildern, die vor allem in den USA tief unter die Haut gehen werden: getötete US-Soldaten, einige von ihnen verstümmelt. Und Aufnahmen von den ersten amerikanischen Kriegsgefangenen, die von ihren irakischen Bewachern zu Aussagen vor laufenden Kameras gezwungen wurden. Dazu der Anschlag eines offenbar mental gestörten US-Soldaten auf ein eigenes Truppenlager und der Abschuss eines britischen Jets durch die US-Luftabwehr - viel schlimmer hätte es in den letzten 48 Stunden für Bush und Blair nicht kommen können. Nie zuvor war ein Krieg realistischer und zeitnäher wahrnehmbar. Deshalb entfalten diese Bilder auch ebenso unmittelbar ihre schockierende Wirkung wie die gewaltigen Detonationen im Stadtzentrum von Bagdad zu Beginn der Luftoffensive. Diese Szenen, seien es die Tod bringenden Bombenexplosionen in der irakischen Hauptstadt oder die in den Augen der Amerikaner demütigende Zurschau-Stellung der "Befreier", dürften in den USA jenen den Rücken stärken, die auch am Wochenende wieder in großer Zahl gegen eine Militäraktion demonstriert haben - ein Unternehmen, das sich amerikanische Politiker zunächst als Spaziergang vorgestellt hatten. Gleichzeitig müssen die gestrigen Aussagen von US-Verteidigungsminister Rumsfeld für Befremden sorgen, der den Irak mit besonderer Schärfe zur Einhaltung der Genfer Konventionen ermahnt und die Fernseh-Aufnahmen von den Gefangenen kritisiert hat. Hier redet einer, der mitten im Glashaus sitzt: Seit langem protestieren Menschenrechts-Organisationen gegen die Behandlung gefangener Taliban- und El Kaida-Kämpfer im Internierungslager Guantanamo Bay auf Kuba. Dabei kam auch immer wieder ein Argument zur Sprache, das jetzt an enormer Bedeutung gewonnen hat: Muss nicht ein Staat, der Kriegsgefangene als "feindliche Kämpfer" ohne jede Rechte behandelt, auch damit rechnen, dass andere Länder dieses Prinzip gegenüber den USA anwenden und so mit gleicher Münze heimzahlen? Der Umgang mit den Gefangenen des Afghanistan-Feldzugs könnte deshalb für George W. Bush jetzt zum schmerzhaften Bumerang werden - zumal die Entscheidungsschlacht um Bagdad erst noch bevor steht. Zwar sind alle US-Soldaten auf Gefangenschaft vorbereitet worden, doch Bagdad dürfte angesichts der schnell vorrückenden gegnerischen Truppen größtes Interesse an der Gewinnung von Informationen und der Stärkung der Moral in den eigenen Reihen haben. Lange Verhöre und die weitere Präsentation der Gefangenen als "Trophäen" und Beleg für den vermeintlich erfolgreichen Abwehrkampf sind deshalb Folgen, auf die sich die US-Regierung einstellen muss - und die die öffentliche Meinung erheblich beeinflussen können. Schon bei dem verhängnisvollen Einsatz gegen den somalischen Milizen-Führer Mohamed Aidid, bei dem im Oktober 1993 zwei Hubschrauber abgeschossen wurden und 16 US-Elitesoldaten ihr Leben verloren, erlebte die amerikanische Nation Bilder der Demütigung. Nun könnte dieser Alptraum für die USA wieder neu beginnen. nachrichten.red@volksfreund.de

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