Andersherum aufs Pferd

BERLIN. Steigen die Chancen für eine Große Koalition? Bei einem ersten Treffen äußerten sich die Spitzen von Union und SPD vorsichtig optimistisch. Sowohl Bundeskanzler Schröder (SPD) als auch CDU-Chefin Merkel beharrten aber unverändert auf ihrem Führungsanspruch.

Ganz der Kanzler. Selbstverständlich gibt Gerhard Schröder ein paar Jugendlichen schnell Autogramme, bevor er mit SPD-Chef Franz Müntefering wieder in der "neutralen" parlamentarischen Gesellschaft direkt gegenüber dem Reichstag verschwindet. Der Wahlkampf ist schließlich noch nicht beendet, weshalb auch "Münte" vor der Presse und den vielen schaulustigen Wählern scherzt: "Für das Wetter heute ist die Bundesregierung zuständig."Es herrscht draußen vor der Tür bei strahlendem Sonnenschein irgendwie gute Laune nach der ersten Sondierung zwischen SPD und Union. Denn der Pulverdampf vom Wahlabend ist endlich etwas verraucht, obgleich die Kontrahenten bei der Suche nach Koalitionspartnern immer noch vor einer dichten "Nebelwand" stehen. Die Atmosphäre beim Acht-Augen-Gespräch mit Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber sei ja ohnehin "gut" gewesen, grinst der Kanzler weiter.

Vor dem Treffen hatte sich die SPD-Spitze deutlich darum bemüht, die entstandenen meterhohen Wogen zwischen Sozial- und Christdemokraten ein wenig zu glätten. Zunächst kassierte Müntefering die kecke und provozierende Idee wieder ein, durch eine Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU zu sprengen. Und auch der Kanzler ruderte vorab kräftig zurück, angesichts der öffentlichen und auch parteiinternen Kritik an seinem Fernsehauftritt in der sonntäglichen Elefantenrunde: "War nicht gut, ich weiß", bedauerte Schröder per Interview.

Die Gegenseite, die Unionsspitze also, nahm diese Signale wohlwollend zur Kenntnis. Wirklich weitergekommen sind Union und SPD nach einer Stunde Beratung allerdings nicht - es hängt an der Macht- und damit der Personalfrage. "Die Einsicht in die Realitäten sind noch nicht so gediehen, dass ich damit zufrieden sein könnte", kommentierte Merkel den Umstand, dass die SPD-Seite den Führungsanspruch der Union als stärkste Fraktion im neuen Bundestag und von Merkel selbst nicht akzeptiere. Stichelnd fügte sie hinzu: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Schröder die Absicht hat Vizekanzler zu werden."

Die Genossen wiederum beharrten auf einer Art "Drei-Punkte-Plan": "Regieren, Gerhard Schröder als Kanzler, möglichst viel durchsetzen", fasste Müntefering sauerländisch knapp seine Ziele und die Schröders zusammen. Da aber das Grundgesetz nun mal keine zwei Kanzler vorsieht, wollen die Schwarzen und die Roten jetzt das Pferd andersherum aufzäumen. Am Mittwoch soll eine weitere Sondierung stattfinden. Jetzt werden erst einmal die Inhalte abgeklopft. Und bieten sich hier gemeinsame Perspektiven, lässt sich später einfacher über Personal debattieren. Eine Überraschung ist dieses Ergebnis allemal. Viele Beobachter hatten damit gerechnet, dass beim Treffen der großen, verärgerten Vier die Fetzen fliegen würden und das Gespräch am gegenseitigen "ich will Kanzler sein" schnell scheitern werde. Weil dem aber nun nicht so ist, könnten die Chancen für eine große Koalition gestiegen sein. Zumal beide Seiten schon bekräftigten, wenn, dann steige man für volle vier Jahre in ein gemeinsames Koalitionsbett.

Ach ja, da war noch etwas. Die Union traf sich auch mit der FDP, und beide entdeckten - oh, Wunder - "einen großen Bestand" an Gemeinsamkeiten. Die trotzdem vorhandenen, inhaltlichen Gegensätze sollen die Generalsekretäre jetzt bis zur nächsten Gesprächsrunde aufschreiben. Ohne die Grünen läuft allerdings nichts. Heute treffen sich daher die Schwarzen mit ihnen.

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