Argumente für die Neuwahl

BERLIN. Der Countdown läuft. Bis zum Mittag des 22. Juli hat Bundespräsident Horst Köhler Zeit, um über die Auflösung des Bundestages zu urteilen und womöglich Neuwahlen anzuordnen. Bundeskanzler Schröder hat dazu dem Präsidenten die gewünschten "Entscheidungshilfen" geliefert.

Stimmt Horst Köhler dem Wunsch des Bundeskanzlers zu, könnte am 18. September gewählt werden. Sagt er aber Nein, wäre das Chaos perfekt. Denn alle Parteien sind unter vollen Segeln bereits auf Neuwahl eingestellt. Um seine Entscheidung "verfassungsdicht" zu untermauern, hat Köhler per Fragenkatalog von Gerhard Schröder weitere "Entscheidungshilfen" zu dessen Neuwahl-Wunsch verlangt. Regierungssprecher Bela Anda erklärte gestern, dass die geforderte "Dokumentation", die unter Federführung des Innenministeriums sowie unter Mitarbeit von Kanzleramt und Justizministerium erstellt wurde, inzwischen an das Bundespräsidialamt übergeben worden sei. Details nannte Anda aber nicht. Wie unsere Berliner Redaktion erfuhr, gibt es im Dossier auch eine umfangreiche "Faktensammlung" aus Zeitungsartikeln, die belegen sollen, dass sich der Kanzler seiner rot-grünen Mehrheit nicht mehr sicher sein konnte. Unter anderem findet sich darin ein Bericht der "Leipziger Volkszeitung", in dem von einem konspirativen Treffen von vier bis zwölf SPD-Abgeordneten unter Führung des SPD-Linken Ottmar Schreiner die Rede ist. Diese Abgeordneten sollen geplant haben, die SPD zu verlassen und womöglich zum neuen Linksbündnis zu wechseln. Ferner soll detailliert "belegt" sein, dass Schröder bei zwei Abstimmungen im Bundestag, eine über die Gesundheitsreform und eine über die Hartz-IV-Gesetze, über keine eigene Mehrheit verfügt habe. Die beiden Abstimmungen seien nur deshalb "unproblematisch verlaufen", weil große Teile der Union im Bundestag ebenfalls zugestimmt hätten und somit eine ausreichende Mehrheit vorhanden gewesen sei. Als weiterer Grund wird aufgelistet, dass die Reform der betrieblichen Erbschaftssteuer und das geplante Absenken der Körperschaftssteuer bei einer Abstimmung im Bundestag wahrscheinlich keine eigenen rot-grünen Mehrheiten gefunden hätten. Einige linke Abgeordnete, unter ihnen Schreiner, hätten nämlich damit gedroht, dagegen zu stimmen, weil in ihren Augen die Gegenfinanzierung nicht schlüssig belegt sei. Beide Gesetzesvorhaben wurden seinerzeit von der SPD-Spitze kurzfristig wieder von der Tagesordnung genommen. Der saarländische Bundestagsabgeordnete Ottmar Schreiner erklärte gestern gegenüber unserer Zeitung: ,,Dass ich es dem Kanzler immer wieder mal schwer gemacht habe, ist bekannt. Dieses Dossier macht mir aber Bauchschmerzen. Ich könnte auch ein Dossier anfertigen darüber, wo überall der Kanzler in seiner Regierungsarbeit von den eigenen Wahlaussagen abgewichen ist. Aber das will ich nicht, das wäre albern." Dann gibt sich Schreiner kämpferisch. "Ja, es hätte in der Zukunft vermutlich eindeutig Mehrheits-Probleme in der SPD-Bundestagsfraktion gegeben. Nach den Wahlpleiten in Kiel und Düsseldorf sind nach meiner Einschätzung immer weniger Abgeordnete bereit, einem weiteren Sozialabbau ihre Stimme zu geben. Zudem sind Abgeordnete keine Marionetten. Sie müssen auch mal eine andere Meinung als die Regierung haben dürfen." Im Übrigen bekräftigte Schreiner, dass es nie ein Geheimtreffen mit dem Ziel des Parteiaustritts gegeben habe. In dem Dossier soll noch ein anderer Vorgang dokumentiert sein: Die vom Regierungschef stark befürwortete Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China war vor allem bei den Grünen auf Widerstand gestoßen. In seiner Begründung der Vertrauensfrage hatte der Kanzler dazu nebulös auf "vermehrt abweichende, jedenfalls die Mehrheit gefährdende Stimmen" in der Türkei-, der Russland- und der China-Politik hingewiesen. In der Koalitionsrunde vor der Vertrauensfrage hatte Schröder dazu den grünen Berliner Abgeordneten Hans-Christian Ströbele namentlich attackiert. Ströbele hatte zuvor mehrfach davor gewarnt, in der Frage "am Parlament vorbeizuregieren".

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