Arm durch Arbeit?

Der Mindestlohn ist ins Gerede der Interessengruppen geraten, und das schadet der Sache. Eine Untergrenze bei den Löhnen höhlt weder die Tarifautonomie aus, wie einige Gewerkschafter befürchten, noch treibt sie Dienstleistungsunternehmen ins Ausland, wie die Arbeitgeberverbände wehklagen.

Der Mindestlohn ist ins Gerede der Interessengruppen geraten, und das schadet der Sache. Eine Untergrenze bei den Löhnen höhlt weder die Tarifautonomie aus, wie einige Gewerkschafter befürchten, noch treibt sie Dienstleistungsunternehmen ins Ausland, wie die Arbeitgeberverbände wehklagen. Sie ist aber auch nicht dazu angetan, das bröckelnde System der Tarife zu stabilisieren oder Abweichungen von der Tarifbindung zu erleichtern. Beim Mindestlohn geht es um etwas ganz Einfaches: die Menschenwürde aller Arbeitnehmer im Land zwischen Rhein und Oder – ganz gleich, welcher Nationalität. Ob dazu die Übertragung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes von der Bauwirtschaft in andere Branchen sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt. Dieses Gesetz stützt sich auf eine funktionierende Tarifpartnerschaft. Aber seit die Absetzungsbewegung aus dem Tarif in manchen Bereichen den Charakter einer Massenflucht angenommen hat – übrigens auch auf Arbeitnehmerseite –, ist die Bindung an Tarifsysteme fragwürdig geworden. Auch wenn Bedenken gegen staatliche Eingriffe schwer wiegen – in dieser Situation hat eine gesetzliche Mindestlohnregelung Sinn. Gesetze regeln Höchstarbeitszeit, Gesundheitsschutz, Urlaub und vieles andere mehr, ja sogar das Beschwerderecht. Das sind, anders als die wohlfeilen Klagen zur angeblichen Überregulierung unterstellen, sinnvolle und in der Praxis hilfreiche Regelungen. Wenn die Tarifpartner Löhne oberhalb der Armutsgrenze nicht mehr sicherstellen können, ist der Gesetzgeber gefragt. Es hat wenig Sinn, die physische und psychische Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen und sie zugleich allein zu lassen, wenn es um einen Lohn geht, der eine menschenwürdige Existenz sichert. Arm durch Arbeit – das darf es in Deutschland legal nicht geben! m.moeller@volksfreund.de

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