Auf Schlingerkurs

Es war wohl als der Befreiungsschlag des Parteivorsitzenden Kurt Beck gedacht: die Änderungen beim Arbeitslosengeld als Abkehr von einem zentralen Punkt der Agenda 2010, der von vielen Genossen und SPD-Anhängern als das Symbol für die Ungerechtigkeit der Reform angesehen wurde.

Allerdings hat die von Kurt Beck als Korrektur verkaufte Rolle rückwärts ihn nicht unangefochten an die Spitze der Bewegung befördert, auch wenn ihm jetzt viele Landesverbände Unterstützung signalisieren, und sich eine breite Mehrheit beim anstehenden Parteitag abzeichnet. Beck stolpert gleichwohl von einem Glaubwürdigkeits-Problem ins nächste.

Noch vor einem Jahr warnte er im Mainzer Landtag mit Nachdruck davor, an der Agenda 2010 zu rütteln. "Wer die Schleusentore dort aufmacht, bekommt sie nicht mehr zu", so lautete seine eindringliche Mahnung. Von einem Gerechtigkeitsproblem war damals bei ihm keine Rede. Gewerkschaftsproteste wurden vom Tisch gewischt.

Doch das ist alles Schnee von gestern angesichts des SPD-Dauertiefs. Nicht einmal im eigenen Landesverband wollen trotz eines einstimmigen Vorstandsvotums alle den überraschenden Kurswechsel mitmachen. Auch die Unnachgiebigkeit seines Vor-Vorgängers Franz Müntefering hat Beck offenbar unterschätzt. Der hat schon einmal gezeigt, wie schnell er zurücktreten kann. Sollte der Arbeitsminister erneut diese Konsequenz ziehen, kommt der SPD-Chef erst recht in die Bredouille. Er wäre der geborene Nachfolger und müsste wortreich erklären, warum er kein Vizekanzler sein mag.

Denn keine Frage, Beck steht kaum der Sinn nach einem vorzeitigen Wechsel nach Berlin, um in einem zum Auslaufmodell erklärten Bündnis die Fahnen hochzuhalten statt sich gegen die Kanzlerin zu positionieren. Ein abruptes Ende der Ära Beck könnte auch die Landespartei vorschnell in ungeahnte Wallung bringen. Noch ist im Heimatverband alles einzig und allein auf den großen Vorsitzenden ausgerichtet. Mögliche Nachfolge-Kandidaten trauen sich entsprechend wenig Eigenständigkeit zu. Wie immer die Machtprobe zwischen Beck und Müntefering am Ende ausgeht, eine entscheidende Frage bleibt: Wie lange kann der Pfälzer den Spagat zwischen ambitioniertem Bundespolitiker, parteiintern gefordertem SPD-Vormann und landesweit umtriebigem Ministerpräsidenten aushalten?

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