Auf der Kippe

Zu Formel 1 als Sportart kann man stehen wie man will: Ob es eine sportliche Betätigung ist, wenn 20 Männer im Kreis herumfahren, darüber lässt sich streiten. Aber dass die Königsklasse des Motorsports weltweit einen enormer Wirtschafts-Faktor darstellt, ist unbestritten. Alle wollen am großen Kuchen knabbern. Alle wollen von Zuschauermassen, von Sponsorengeldern und von der Automobil-Industrie profitieren. Herrscher über die Milliarden ist Bernie Ecclestone, der Chef der Formel 1. Er regiert in einer despotischen Art und Weise - und lässt sich von seinen Untergebenen bauchpinseln. Wer nicht spurt, fliegt raus - selbst dann, wenn er überhaupt keine Schuld trägt wie die Rennstrecken in Mitteleuropa. Geknebelt vom Tabakwerbeverbot betteln sie um die weitere Aufnahme in den Rennkalender. Der Kampf der Europäischen Union gegen das Rauchen treibt absurde Spitzen. Als ob irgendjemand weniger rauchen würde, wenn die Ferraris und Mercedes mit einem West oder Marlboro-Aufkleber mehr oder weniger ihre Runden drehen würden. Im Endeffekt ist es Prinzipienreiterei, was Brüssel betreibt. Da die Tabak-Industrie aber den größten Batzen "Backpulver" zum Kuchen beisteuert, sitzt sie bei Ecclestone auf dem Schoß. Der Einfluss ist groß, der Druck auf die Rennstrecken im EU-Bereich immens. Denn das Tabakwerbeverbot kommt Ecclestone gerade recht, da er mit der Automobil-Industrie neue Märkte erobern will. In Deutschland verkauft sich mittlerweile kein Auto mehr durch die Formel 1, die Zeiten der Schumi-Mania sind zwar noch gegeben, aber die wirtschaftlichen Steigerungsraten der Formel-1-Industrie flauen hierzulande langsam ab. Ecclestone zieht es daher in andere Regionen: Asien, der Nahe Osten und Russland stehen ganz oben auf seiner Agenda. Riesige Bevölkerungsmassen harren der Eroberung durch Autos oder Fanartikel. Es ist wie mit der Abwanderung der US-Armee aus Mittel- nach Osteuropa. Es gibt dort keine oder kaum Barrieren, die zu überwinden sind. Die Formel 1 wird wie die US-Truppen mit offenen Armen empfangen. Da müssen neue Konzepte her, um das wirtschaftliche Potenzial zum Beispiel in der Eifel zu halten, wobei der Nürburgring trotz aller Tradition zudem mit dem Nachteil kämpfen muss, dass er eine von zwei Formel-1-Rennstrecken in Deutschland ist. Für die strukturschwache Eifel ist ein solcher Geldsegen eminent wichtig - nicht nur was direkte Einnahmen betrifft, sondern auch durch die positiven Folgen wie Tourismus. Ob der "Ring" mit diesen Pfründen allerdings noch lange wuchern kann, hängt von Ecclestones Daumen ab. Und der könnte durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs "geliftet" werden. Wird das Vorziehen des Tabakwerbeverbots außer Kraft gesetzt, hat der "Ring" ein Jahr mehr Zeit, die Weichen zu stellen. Wenn nicht, sieht es düster aus. b.pazen@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort