Auf der Suche nach einer Strategie

BERLIN.Zehntausende gingen gestern aus Protest gegen die Arbeitsmarktreformen auf die Straße: Der Streit um das Hartz-Paket wird größer - die Regierung arbeitet noch an einer Strategie.

Das klang sehr stark nach Ratlosigkeit, was der stellvertretende Regierungssprecher Hans Langguth als Konter der Bundesregierung gegen die "Montagsdemonstrationen" im Angebot hatte: Angesicht der Proteste, die gestern bundesweit gegen die Arbeitsmarktreformen Hartz IV stattfanden, werde man noch in dieser Woche eine Informationskampagne starten, meinte Langguth. Einzelheiten mochte oder konnte er jedoch nicht nennen. Im Grunde zeigt dies nur eines: Rot-Grün ist verzweifelt auf der Suche nach einer Strategie, wie mit dem wachsenden Ärger, der sich jetzt auch noch auf den Straßen entlädt, umgegangen werden soll. Die Opposition hingegen hat bereits eine gefunden. Und die lautet schlichtweg: mitmachen. Vorne weg die PDS, die selbst ernannte Partei für die kleinen Leute. Sie hofft nun auf ihre Renaissance, nachdem sie vor zwei Jahren mit schlappen vier Prozent den Einzug in den Bundestag verpasst hatte. Allerdings konnte sie damals zwei Direktmandate gewinnen. "Hartz IV - das ist Armut per Gesetz" lautet die Botschaft, mit der die Sozialisten inzwischen gegen die Reform zu Felde ziehen. Im September wird in Brandenburg und in Sachsen gewählt, laut Meinungsforscher dürfte die Protestpartei des Ostens als einzige von dem Wirrwarr, der Angst der Menschen und dem Ärger um Hartz IV profitieren. Da verwundert es nicht, dass die PDS sich in Szene setzt. Und noch etwas liegt auf der Hand - die Postkommunisten haben kein Verständnis für diejenigen, die die Proteste nicht als Montagsdemonstrationen durchgehen lassen wollen. "An den Montags-Demos teilen sich zugleich die so genannten Bürgerrechtler - in ehemalige und wirkliche. Die einen rühmen sich, die anderen engagieren sich", höhnt die Bundestagsabgeordnete Petra Pau. Frühere DDR-Oppositionelle hatten sich deutlich über die Berufung auf die Montagsdemos beklagt, die 1989 mit zum Sturz des SED-Regimes in der damaligen DDR geführt hatten. Anders als Wirtschaftsminister Wolfgang Clement zeigte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (beide SPD) aber Verständnis für die Demonstranten und deren tief gehendes "Gerechtigkeitsbedürfnis". Zehntausende gingen gestern in Magdeburg, Dessau, Dresden, Leipzig, Rostock, aber auch Dortmund, Duisburg, Essen oder Frankfurt auf die Straße: "Ich bin auf der Seite der Demonstranten, die dem Regierungs-Chaos eine Stoppzeichen setzen wollen", sagt FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper kess - und durchschaubar zugleich: Die Ostdeutsche erhofft sich nämlich vor allem Rückenwind für die Liberalen in den neuen Ländern. "Die FDP" sagt Pieper stolz, "hat Hartz IV im Bundestag abgelehnt". Sie vergisst jedoch: Im Bundesrat hatten die Liberalen der Reform zugestimmt. Auch in der Union grassiert bei vielen mittlerweile die Vergesslichkeit - man tut gerne so, als ob man in der Länderkammer die Reform nicht durchgewinkt hätte, wenn auch unter Bedingungen. Allen voran Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU). Der wahlkämpfende Landesfürst zeigte gestern doch tatsächlich Verständnis für die Montagsdemonstrationen. Er könne sich sogar vorstellen teilzunehmen, befand der CDU-Mann, der im Bundesrat den Kürzungen durch Hartz IV ausdrücklich zugestimmt hatte. SPD-Chef Franz Müntefering fuhr darauf hin aus der Haut: Dies dokumentiere "den völligen Verlust von Verantwortungsbereitschaft in der Union", wo nur noch "Feigheit und Populismus" herrsche, ereiferte sich Müntefering. Der Streit um Hartz wird immer härter - und die Regierung sucht ihre Strategie.

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