Auf schmalem Grat

Am Tag, als die Kritik auf ihn niederprasselte wie ein Wolkenbruch, wirkte der Kanzler merkwürdig unbeschwert. Anders als erwartet, vermittelte Gerhard Schröder das Bild eines Mannes, der sich seiner Sache sicher wähnt und lauernde Gefahren trotzig ignoriert.

Allerdings hatte er am Montag auch Grund zur Freude, war ihm doch von Paris und Moskau, vom SPD-Parteivorstand und von der Bundestagsfraktion eine wohltuende Unterstützung seines Irak-Kurses signalisiert worden. Die Genossen wollen ihren Vormann nicht im Regen stehen lassen. Eine beinahe irrationale Situation: Da manövriert sich ein Kanzler innen- wie außenpolitisch ins Abseits, produziert Ärger und Unverständnis bei Freund und Feind, vergrätzt seine Wähler, die ihm noch vor wenigen Monaten zum Triumph verholfen haben, destabilisiert die Koalition und das transatlantische Bündnis - und sitzt trotzdem fest im Sattel. An seiner Mehrheit im Bundestag ist ebenso wenig zu rütteln wie an seiner exponierten Stellung in der SPD. Bis heute ist Schröder intern nicht ernsthaft in Frage gestellt worden. Natürlich profitiert er von der personellen Dürre in der Partei, vom Mangel an kompetenter Konkurrenz. Aber auch von seiner konsequenten Grundhaltung im Irak-Konflikt, die in weiten Teilen der Bevölkerung auf Zustimmung stößt. Schröder stillt mit seinem strikten Nein zur Kriegslogik der Amerikaner nicht nur die Sehnsucht der Menschen nach friedlichen Konfliktlösungen; er befriedigt auch die Bedürfnisse nach souveräner Selbstbestimmung. Die Leute spüren den enormen Druck, den die USA auf alle ausüben, die nicht im gewünschten Gleichschritt marschieren, und sie bilden Reflexe gegen das damit verbundene Vasallentum. Deshalb ist Schröder auch unversehens in die Rolle eines David geraten, der Sympathien genießt, weil er Goliath die Stirn bietet. Anders als im biblischen Beispiel hat der Kanzler so gut wie keine Chancen, den Streit in seinem Sinne zu entscheiden. US-Präsident Bush wird tun, was er und seine einflussreichen Freunde für richtig halten, und er wird die europäischen

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