"Auferstehung” am ersten Todestag

DRESDEN. Mit einem radikalen Reform-Entwurf will die FDP ihre Regierungsfähigkeit im Bund beweisen und die bevorstehenden Wahlen zum Europa-Parlament und zum Thüringer Landtag bestehen. "Wir wollen regieren", sagte Parteichef Guido Westerwelle zum Abschluss des Parteitags.

"Es könnte schon mal bissel lauter, bissel aggressiver zugehen”, rief Holger Zastrow den Delegierten im nagelneuen Congress Center von Dresden zu. Der Wunsch des sächsischen FDP-Landesvorsitzenden war eine harmlose Umschreibung für das, was der ewige Nörgler der Liberalen, Schleswig-Holsteins Fraktionschef Wolfgang Kubicki, im Vorfeld dieses Bundesparteitages als "Trümmertruppe” charakterisiert hatte. Der fast schon rituelle Zank über das mangelnde Profil der eigenen Partei wollte bei den allermeisten Anwesenden allerdings nicht zünden. Eine Woche vor den beiden schwierigen Wahlen in Thüringen und in Europa war die blau-gelbe Basis auf Harmonie gestimmt - die lauten und aggressiven Momente kehrten sich brav gegen die politische Konkurrenz. Ausgerechnet am ersten Todestag des ehemaligen Frontkämpfers Jürgen W. Möllemann inszenierte Parteichef GuidoWesterwelle so etwas wie eine liberale Auferstehung. Dem verstorbenen Parteivize, der mit seinen politischen Eskapaden maßgeblich zur liberalen Niederlage bei der Bundestagswahl beigetragen hatte, widmete Westerwelle ein kurzes, aber angemessenes Innehalten ("Auch wenn wir am Schluss gegeneinander standen. Sein Engagement für die liberale Sache in den Jahren zuvor wird niemand verleugnen, ich erst recht nicht”). Ansonsten forderte Westerwelle die Delegierten mit starken Worten auf, sich schon vor der nächsten regulären Bundestagswahl 2006 für einen Regierungswechsel bereit zu halten. Das Vehikel sollen die Landtagsvoten im kommenden Jahr sein: "Fällt Rot-Grün in Düsseldorf und in Kiel, dann fällt auch Rot-Grün in Berlin.” Ungewöhnlich viel Raum nahm die Außen- und Menschenrechtspolitik in seiner Rede ein - Kritiker wie Kubicki hatten der Führung gerade auf diesem Gebiet Farblosigkeit vorgeworfen. Mancher Delegierte glaubte allerdings bei Westerwelle herauszuhören, dass sich hier der künftige Außenminister empfehle. Für dieses Amt lief sich in Dresden freilich auch Westerwelles Amtsvorgänger Wolfgang Gerhardt warm. Und der Beifall für seine Rede fiel hörbar herzlicher aus als für Westerwelle. Am größten war der Applaus bei allen Rednern immer dann, wenn es gegen die Grünen ging. Die Warnungen einer Berliner Delegierten, man müsse "die Ökos ernst nehmen" statt auf sie "einzudreschen", verhallte im weitläufigen Saal. Dafür enthält das Eckpunktepapier, das der Dresdner Konvent zur weiteren Diskussion in die Parteigliederungen delegierte, einen radikalen Neuansatz in der Gesundheitspolitik, der freilich noch viele Fragen offen lässt. Nach einem gesonderten Beschlussantrag sollen die gesetzlichen Krankenkassen komplett in eine Privatversicherung überführt werden. Damit will sich die Partei sowohl von der rot-grünen Bürgerversicherung als auch vom Kopfpauschalenmodell der CDU abheben. Im Kern werden die Vorstellungen der Christdemokraten allerdings mit den bei Privatversicherern üblichen Altersrückstellungen kombiniert. Für so genannte Regelleistungen, die einstweilen nicht konkret definiert sind, soll ein Pauschaltarif erhoben werden. Alles darüber hinaus ist nach individuellem Krankheitsrisiko extra zu versichern. Sozial Schwache bekommen den Pauschaltarif aus Steuermitteln bezuschusst. Sowohl über die Höhe der Einheitsprämie wie auch über die zusätzlichen Aufwendungen herrscht Unklarheit. Jüngere Versicherte dürften am stärksten zur Kasse gebeten werden, weil sie nach dem Konzept auch noch einen persönlichen Kapitalstock für die schon erwähnte Altersrückstellung aufbauen sollen. Der Parteitag zeigte sich allerdings optimistisch, dass die "soziale Flankierung" das Image der FDP korrigieren könne. "Wir sind nicht herzlos", betonte der Gesundheitsexperte Dieter Thomae. Am Ende der Veranstaltung blieb nur ein Schönheitsfehler: Nach einer emotionsgeladenen Debatte lehnten die Delegierten eine bessere Finanzausstattung der Bundesebene zu ihren Lasten ab. Das gescheiterte Vorstandsbegehren sollte der mit über 13 Millionen Euro verschuldeten FDP schon mal knapp zwei Millionen Euro in den Wahlkampf-Etat spülen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort