Aus alt mach neu

Stellen wir uns für einen Moment vor, die Bundestagswahlen hätten wie geplant in diesem Herbst stattgefunden: Die Schröder-Regierung ist aus dem Jammertal heraus. Mehr Wachstum, weniger Arbeitslose, gute Konsumlaune, schlechte Karten für die Union.

Kurzum, eine Neuauflage von Rot-Grün wäre nicht unwahrscheinlich gewesen. Joschka Fischer könnte dann immer noch über den Ökos thronen, die sich in der Berliner Macht-Maschine weiter als "Reformmotor" verstünden. Und alles ginge seinen grünen Gang. Nun kam bekanntlich alles ganz anders, und die Degradierung zur kleinsten Oppositionspartei im Bundestag offenbart das ganze Ausmaß des grünen Elends. Zum Machtverlust im Bund kommt eine totale Regierungsabstinenz in den Ländern. Besonders aber muss der Partei zu schaffen machen, dass sich an ihrer Grundkompetenz längst auch die politische Konkurrenz vergreift. Ein bisschen Öko sind mittlerweile alle etablierten Parteien. Damit gerät das Alleinstellungsmerkmal der Grünen in Gefahr. Deshalb setzt die Parteispitze auf Altervertrautes in neuem Gewand: Wenn die anderen ökologisch werden, so das Kalkül, dann muss es bei uns wieder radikal-ökologisch zugehen. Der jüngste Parteitag in Köln lässt allerdings ahnen, dass dieser Kurs zum Dilemma werden könnte. Zweifellos verbindet sich mit dem drohenden Klimawandel ein grüner Popularitätsschub. Vom radikalen Ansatz bis zum radikalen Abseits ist es aber zuweilen nur ein kleiner Schritt. Das hat sich vor acht Jahren gezeigt, als die Grünen mit der Forderung nach einem Benzinpreis von fünf Mark pro Liter in den Wahlkampf zogen und fast am Wählerzorn gescheitert wären. Auch ihr neuester Wunschkatalog vom Tempolimit auf Autobahnen über eine City-Maut bis hin zur Verteuerung von Billig-Flügen dürfte die Massen nicht gerade zu Begeisterungsstürmen hinreißen. 1998 hatte übrigens Joschka Fischer seine Partei mit einem bis dato beispiellosen persönlichen Einsatz vor dem Wahluntergang bewahrt. Diesen Persönlichkeitsfaktor sucht man heute bei den Grünen vergebens. Auch das hat der Kölner Konvent gezeigt. Die dürftigen Ergebnisse bei der Wiederwahl der Parteispitze künden vor allem von der Sehnsucht nach mehr Führung. Wollen die Grünen eines Tages wieder in der Regierungsverantwortung mitmischen, müssen sie nicht nur ihr Personalangebot klären. Auch die Scheuklappen gegenüber Union und FDP müssen verschwinden. nachrichten.red@volksfreund.de

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