Außer Kontrolle

Der Kanzler poltert, sein Ex-Herausforderer wettert, und an den Stammtischen landauf, landab fliegen die Fetzen. Der kollektive Aufschrei gilt den Millionarios in den Chefetagen der deutschen Top-Unternehmen, die sich trotz Massenentlassungen und mies laufender Geschäfte die Taschen vollstopfen. "Obszön", nennt Bundestagspräsident Thierse das. Der typisch deutsche Neidreflex? Ist es wirklich ein Skandal, wenn die Bosse von DaimlerChrysler Jahresgagen von dreieinhalb Millionen Euro kassieren? Wenn Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank, allein rund sieben Millionen Euro einsackt? Das Schöne am Kapitalismus ist nun mal das Geld. Wer viel leistet, soll viel verdienen (können). Angebot und Nachfrage regeln das in der Marktwirtschaft - theoretisch. Die Praxis sieht anders aus. Gehaltsverhandlungen mit den Managern führen nicht Aktionäre, sondern Aufsichtsräte. Die wiederum sind zumeist selbst Vorstände in anderen Unternehmen - ein überschaubarer Kreis von Spitzenkräften, die gar nicht daran denken, sich gegenseitig weh zu tun. Erhöhst du mir heute das Gehalt, sage ich morgen in deinem Unternehmen bestimmt nicht nein. Niemand kontrolliert die Kontrolleure, das System ist außer Kontrolle. Die Argumente der Großverdiener klingen lahm: Deutschland dürfe sich nicht von international üblichen Gehältern abkoppeln, der Standort sei in Gefahr, wenn der Gesetzgeber Höchstgrenzen für die Einkommen der Vorstände definierte. Es sei allein Sache der Unternehmen, die Vergütung festzulegen. Zudem drohe Gefahr, dass die Besten derBesten von "global players" abgeworben werden. Soso. Hat jemals jemand davon gehört, dass ein deutscher Manager von einem US-Konzern in eine Topposition berufen worden wäre? Das Grundproblem: Die Herren der deutschen Wirtschaft verfügen über alles und haften für nichts. Selten werden "Nieten in Nadelstreifen" für grobe Managementfehler zur Verantwortung gezogen. Die Globalisierung verschärft das Übel: Traditionsreiche Firmen verschwinden, neue Fusions-Giganten tauchen auf. Bei solchen Elefanten-Hochzeiten ist viel Geld zu verdienen, ebenso bei angeblichen oder vermeintlichen Übernahme-Schlachten. Vorstände, Aufsichtsräte und sogar Gewerkschafter scheinen munter miteinander zu kungeln - so wie offenbar im Fall Mannesmann/Vodafone. Verhandlung im Januar, auf der Anklagebank: Ex-Mannesmann-Boss Klaus Esser, Aufsichtsrat Josef Ackermann und Ex-IG-Metall-Chef Klaus Zwickel. Es geht um irrwitzige Prämien, Millionen-Abfindungen und die Frage, wer wem wie viel zugeschustert hat. Um die Selbstbedienungs-Mentalität auszutrocknen, sind klare Regeln und Transparenz unabdingbar: die Verpflichtung, Bezüge von Vorständen und Aufsichtsräten offen zu legen und die Aktionärsversammlungen darüber abstimmen zu lassen; die Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten bei bewusst falschen Angaben; unabhängige Kontrolle jenseits der üblichen Aufsichtsrats-Zirkel. Nur so lässt sich hemmungslose Manager-Gier zügeln. p.reinhart@volksfreund.de

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