Bürger sind auf gütliche Einigung aus

Ein Jahr nach Inkrafttreten des nach wie vor umstrittenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ist die befürchtete Klagewelle ausgeblieben.

Berlin. Es gibt sie, die sogenannten "AGG-Hopper". Angeblich kursieren bei den Arbeitgebern bereits schwarze Listen mit den Namen von Scheinbewerbern, die die Firmen nur wegen Diskriminierung verklagen wollen, um eine Entschädigung zu kassieren. Sie treten zwar nicht häufig auf den Plan. Wenn aber doch, müssen Personalchefs auf der Hut sein: Beim kleinsten Lapsus können bis zu drei Monatsgehälter plus ein Schmerzensgeld fällig werden. Martina Köppen, Leiterin der neuen Antidiskriminierungsstelle des Bundes, beruhigt indes: "Das ist ein Randproblem", betont sie. Die befürchtete Klagewelle ist nach einem Jahr Gleichbehandlungsgesetz ausgeblieben. Aber nicht, weil es keine Diskriminierung in Deutschland gibt: "Die Leute wollen meist eine gütliche Einigung", begründet Köppen. Viele würden auch das Prozesskostenrisiko scheuen. Die Antidiskriminierungsstelle mit Sitz in Berlin ist laut ihrer Chefin vor allem mit Benachteiligungen wegen des Geschlechts, des Alters oder wegen Behinderung konfrontiert. Diese drei Merkmale machen rund 75 Prozent aller Anfragen aus. Beim restlichen Viertel geht es um die Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft, der sexuellen Identität oder der Religion.

Das größte Problem des Gesetzes dürfte sein, dass kaum jemand weiß, was drinsteht. "Es gibt einen erheblichen Bedarf an Aufklärung", weiß Köppen. Sowohl bei den Bürgern als auch bei den Unternehmen. Wenn zum Beispiel ein türkisches Mädchen 50 Absagen auf ihre Bewerbungen erhält und den Verdacht hegt, es hängt mit ihrer Abstammung zusammen, was dann? "Dann würden wir uns der Sache annehmen", erklärt Köppen.

Nicht immer geht es jedoch ums Arbeitsleben: Weil ein junger Mann erst 17 Jahre alt ist, wird ihm der Zutritt zum Fitness-Studio verweigert, eine Fluggesellschaft will einen Passagier nicht mitnehmen, da er Moslem ist, und ein Hotel gibt einem Gast wegen seiner Behinderung kein Zimmer - das sind alles Fälle, die unter das AGG fallen. Oder fallen könnten. Die Abgrenzung ist das Problem: Wann handelt es sich um Diskriminierung und wann nicht? Bei solchen Fragen steht jedermann die Antidiskriminierungsstelle beratend zur Seite.

Köppen hofft vor allem auf Einsicht bei den Unternehmen, dass das AGG mehr "Vielfalt" in die Betriebe bringt. Mit der Wirtschaft will sie einen "Pakt" eingehen, um die Akzeptanz der Regelungen zu erhöhen. Ohne Alternative

Der Blick zurück beruhigt: Die schlimmsten Horrorszenarien durch die Einführung des "Antidiskriminierungsgesetzes" haben sich nicht erfüllt. So ist die erwartete Prozesslawine ausgeblieben. Die Begründung dafür, dass viele Betroffene sich lieber außergerichtlich einigen, ist einleuchtend. Man kann es aber auch im Sinne der AGG-Kritiker so erklären, dass sich eben kaum jemand dafür interessiert, was wirklich in dem Gesetz steht. Und genau das ist schon erstaunlich. Insbesondere wenn man sich daran erinnert, wie heftig und zum Teil verbittert die Debatte auch innerhalb der großen Koalition über das AGG geführt wurde. Den Befürwortern des Gesetzes muss man zubilligen, dass zwölf Monate in der Rechtsprechung noch kein allzu langer Zeitraum für ein überzeugendes Fazit sind. Zur Wahrheit gehört aber auch: Es gibt keine Alternative zu dem Gesetz. Denn die Bundesregierung hat weitgehend lediglich EU-Vorgaben umgesetzt.

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