Bedenkenträger-Land

Armes Deutschland! So schonungslos wie am Freitag haben sich unsere Damen und Herren Volksvertreter selten blamiert. Seit Monaten schon liegen sie uns in den Ohren, beschwören lauthals die dringend notwendige Auflösung des Reformstaus und beteuern ihre grenzenlose Bereitschaft, die Parteizugehörigkeit hintan zu stellen, wenn es um das Wohl des ganzen Volkes gehe.

Seit Monaten schon denken wir, jetzt könnte es aber mal bald losgehen mit dem Stau-Auflösen, und was passiert? - Nichts. Spätestens dann, wenn unsere Politiker den hehren Worten Taten folgen lassen sollen, werden aus verbalen Reform-Tigern fußlahme Bedenkenträger. Mit seiner Kleinen Novelle der Handwerksordnung hat Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement keine Revolution geplant, lediglich eine fein dosierte Liberalisierung eines fast hermetisch abgeriegelten Marktes, der bislang nur jenen Zutritt gewährt, die einen Meisterbrief in der Tasche haben. Den "Großen Befähigungsnachweis" will Clement nicht abschaffen, nur jenen eine Chance zur Existenzgründung geben, die lange genug im Job sind oder ihr Handwerk verstehen. Was anderswo in Europa längst üblich ist, hat im Land der Bedenkenträger keine Chance auf eine politische Mehrheit. Zu stark die Lobby, zu feige die Politiker. An der Spitze mit den Liberalen interessanterweise jene, die sich in Sonntagsreden gerne als Gralshüter einer freien Marktwirtschaft gebärden. Fragt sich jeder nur, wie unsere Volksvertreter den unbestrittenen Reformstau auflösen wollen, wenn schon die Generalprobe im Bundesrat derart in die Hose ging. r.seydewitz@volksfreund.de

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