Bitterböse Ironie

Es gibt Projekte, die sich trotz bester Absichten aller Beteiligten zu einem Problem entwickeln - und immer eines bleiben. Dazu gehört unbestritten das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Die Nachricht vom Baustopp riss die vielfältigen Wunden im Dunstkreis des Stelenfelds wieder auf.

Da ist der jahrelange Streit zu erwähnen, bevor das Projekt überhaupt in Angriff genommen wurde. Das Debakel während der Ausschreibungen. Die zermürbende Diskussion über die künstlerische Qualität und die Finanzierung. Und nicht zuletzt die Gefühle aller noch lebenden Holocaust-Opfer, die bei jeder erneuten lautstarken Debatte über Sinn und Zweck eines Mahnmals wieder aufbrachen. Eine Baustelle deutscher Befindlichkeiten im Herzen der Bundeshauptstadt drohte zu entstehen, ein Denkmal für die immer noch herrschende Dünnhäutigkeit und Ängstlichkeit im Umgang mit der deutschen Vergangenheit. Dann endlich: Im Herbst 2001 kam der Baubeginn des 27 Millionen Euro teuren Feldes nach den abgespeckten Entwürfen des Architekten Peter Eisenmans. Im vergangenen August stellte er sogar die ersten Prototypen der insgesamt 2700 Stelen vor, die dann bei verschiedenen Firmen in Serie gehen sollten. Alles ging seinen Gang auf dem 19 000 Quadratmeter großen Areal - nur einige Ästheten haderten noch mit den Betonklötzen. Bis jetzt eine dünne Schutzschicht vor Graffiti-Sprayern wieder klar gemacht hat: Selbst 58 Jahre nach Kriegsende ist nichts vergessen, nichts vorbei. Schuld und Sühne, Schrecken und Schmerz bleiben in Deutschland ein Dauerthema weit über die Kriegs-Generation hinaus. Das Chemie-Unternehmen Degussa hat sich wie viele andere Firmen zwar am Entschädigungsfonds für NS-Zwangsarbeiter beteiligt und sich damit, wie es heißt, vorbildlich verhalten. Auch die Erben der Täter, Mitwisser und Mitläufer haben irgendwann einmal Ruhe verdient. Dennoch: Den entsetzten Kuratoriumsmitgliedern des Mahnmal-Projektes geht es jetzt ums Prinzip. Gerade dieses Chemie-Unternehmen stellte Zyklon B her, den Stoff der Millionen von Menschen umbrachte. Der Baustopp musste kommen, die Entscheidung war klar. Dieser bitterbösen Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet dieses Unternehmen an dem Bau zur Erinnerung an die Opfer beteiligt ist, bereitete das Kuratorium ein abruptes Ende - sehr verständlich. b.markwitan@volksfreund.de

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