Blinder Kontrollwahn

Telefonüberwachung, zentrale Antiterror-Datei, Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen und elektronische Vorratsdatenspeicherung - bereits jetzt ist die Liste der Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung der Bürger seit dem 11. September 2001 in vorher nicht geahntem Maße angewachsen.

War schon der Vorgänger von Wolfgang Schäuble im Amt des Innenministers, Otto Schily, nicht zimperlich mit Sicherheitspaketen im Namen der Terror-Bekämpfung, so legt der CDU-Mann noch nach. Nun hat der Bundesgerichtshof dem blinden Überwachungs- und Kontrollwahn erst einmal einen Riegel vorgeschoben. Die heimliche Online-Durchsuchung von Computern ist unzulässig, weil nicht durch die Strafprozessordnung gedeckt. Die BGH-Entscheidung bedeutet jedoch keineswegs, dass das Thema vom Tisch ist, denn schon in Sachen "Abschuss entführter Passagierflugzeuge" hat sich Hardliner Schäuble äußerst hartnäckig gezeigt und nach einer Hintertür gesucht. Dass er auch in diesem Fall nicht gewillt ist, klein beizugeben, zeigen die Verlautbarungen nach dem Urteil: "Zeitnahe Anpassung der Strafprozessordnung" heißt die Devise. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass jemand, der "sich nichts vorzuwerfen hat", von staatlich genehmigten Computer-Einbrechern betroffen sein wird, so bleibt ein schaler Nachgeschmack beim Bürger, denn mit dem Totschlagargument Terror werden die Errungschaften unserer offenen Gesellschaft nach und nach auf dem Altar der inneren Sicherheit geopfert. Es ist an der Zeit, dass nicht erst Richter die seltsamen Spielchen, die die freiheitliche Gesellschaft aushöhlen, beenden, sondern dass den offenbar grenzenlosen Gewaltverhinderungsfantasien von parlamentarischer Seite ein Ende gesetzt wird. Denn in einem Land, in dem jederzeit an jedem Ort Kontrolle möglich ist, lebt es sich mindestens so schlecht wie in einer von Terroristen bedrohten Gesellschaft. r.gruen@volksfreund.de

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