Blutgrätscher Steinbrück

Im Fußball gerät eine Mannschaft unter Druck, wenn sie sich zu früh im eigenen Strafraum einmauert. Das könnte Finanzminister Peer Steinbrück auch passieren. Die Angreifer heißen Glos, Thumann, Westerwelle.

Sie rufen nach Steuersenkungen. Ihr Ruf findet umso stärkeren Widerhall, je kräftiger die Konjunktur ist. Spätestens bei der Wahl 2009 können sie damit Tore schießen. Steinbrücks Strafraum heißt Konsolidierung des Haushalts und Abbau der Staatsschulden. Vor diesem Strafraum hat er seine Argumente aufgebaut: die Verantwortung gegenüber kommenden Generationen, die Handlungsfähigkeit des Gemeinwesens. So wehrt er jede Forderung ab. Auch die nach mehr Geld für die Kinderbetreuung. Steinbrück wird zum Blutgrätscher der Koalition. Eine gestaltende Spielweise ist das nicht. Von einem Finanzminister muss man erwarten, dass er selbst die Diskussion antreibt. Beispiel Einkommenssteuer: Steinbrücks Verweis auf die vergangenen Senkungen ist richtig. Aber genauso richtig ist, dass die kalte Progression diese Entlastungen auffrisst. Eine Anpassung der Steuersätze ist also kein absurder Gedanke. Dazu aber gibt es keinen Vorschlag vom Minister. Andere nutzen jetzt das wachsende Unbehagen der Bürger aus. Beispiel Steuervereinfachung: Das deutsche Steuersystem ist für die Einzelfallgerechtigkeit konstruiert, tausend Ausnahmen, und alle verteidigen ihre Besitzstände. Von der Steuerfreiheit der Sonn- und Feiertagszuschläge bis zum Ehegattensplitting. Es würde heftigste Diskussionen geben, aber wann, wenn nicht jetzt, kann man sie führen, und wer, wenn nicht der Finanzminister, kann sie anstoßen? Beispiel Erbschaftssteuer: Natürlich ist sie Sache der Länder, aber das war die Kinderbetreuung auch, bis von der Leyen kam. Wenn die Länder nicht vor ankommen, ist es Aufgabe des Finanzministers, Vorschläge zu machen. Steinbrücks Schweigen eröffnet erst den Spielraum, die Abschaffung dieser Steuer zu fordern. Dabei wäre das Gegenteil richtig: Das vererbte Vermögen ist zwar schon einmal besteuert worden - aber von den Verstorbenen, nicht von den Nachfahren. Angesichts des Anstiegs der Erbmasse ist die Belastung dieses Personenkreises zu Gunsten von Zukunftsinvestitionen vernünftiger als die des Faktors Arbeit oder die der Konsumenten. Peer Steinbrück mag als derjenige Finanzminister in die Annalen eingehen wollen, der 2010 einen ausgeglichenen Haushalt gegen alle Begehrlichkeiten erreicht hat. Bravo!Aber welche strukturellen Reformen des Steuer- und Finanzsystems hat er eingeleitet, wie hat er die wirtschaftliche Dynamik verstärkt? Steinbrück sollte ehrgeiziger sein, und diese Fragen nicht allein jenen überlassen, die er Populisten schilt.

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