Braucht Deutschland ein Einheits-Denkmal?

Der Bundestag will heute über die Frage entscheiden, ob an die deutsche Wiedervereinigung vor 18 Jahren mit einem Denkmal in Berlin erinnert werden soll. Doch ist nicht die ganze Stadt mit seinen Widersprüchen und - manchmal unsichtbaren - Grenzen ein Denkmal der Wiedervereinigung?

Berlin. Die deutsche Einheit lebt. Sie ist sogar quicklebendig. Sie hat eine ostdeutsche Kanzlerin. Einen westfälischen Vizekanzler. Hat eine Moderatorin (Ost), die sich gerade in den Telekom-Chef (West) verliebt. Stasi-Filme gewinnen Oscars. Print-Magazine berichten derzeit groß über jene Kinder, die am Tag des Mauerfalls geboren wurden und heute 18 Jahre alt werden. Die Einheit wird volljährig. Da beginnt die Blüte des Lebens. Sie hat vielleicht Probleme, manchmal sogar Psychosen. Aber tot ist sie jedenfalls nicht. Es ist absurd, der Einheit schon jetzt ein Denkmal zu setzen, wie es der Bundestag heute beschließen will. Noch dazu ein Denkmal mitten in Berlin. Das ist, als baute man in Kalkutta ein Mahnmal zur Armut. Überflüssig. Ganz Berlin ist ein lebendes Denkmal für all das, was am 9. November 1989 und danach stattfand. Der Prenzlauer Berg mit seinem Wessi-Ossi-Ausländer-Gemisch ebenso wie das Brandenburger Tor mit Business und Politik. Der Hauptbahnhof, der Potsdamer Platz, die Plattenbauten, die Massen-Arbeitslosigkeit. Alles da. Sogar Mauerreste stehen noch, und der eine oder andere Trabi hält überdimensionierte Limousinen auf. Berlin wird derzeit zugestellt mit versteinerter Erinnerung. Das Holocaust-Mahnmal gibt es schon - zu Recht. Diese offene Wunde mitten im Herzen der Hauptstadt muss sein, ebenso wie die Topografie des Terrors, die einstige Zentrale der Gestapo. Ein Zentrum für Vertreibung kommt demnächst, eine große Erinnerungsstätte an gefallene Bundeswehr-Soldaten im Auslandseinsatz ist in Planung, ein Denkmal für die homosexuellen Opfer des Faschismus in Arbeit, ebenso eines für die Sinti und Roma. Die Opfer des 17. Juni 1953 haben eine Erinnerungstafel, die der Euthanasie auch. Über die Toten der RAF-Attentate wird nachgedacht. Der Verdacht liegt nahe, dass hier auch Kranz-Ablegeplätze geschaffen werden, für einen Tag einmal im Jahr, wenn man sich erinnern muss. Als Ersatz für eine tiefere Auseinandersetzung. Die Einheit braucht so etwas nicht, noch nicht und hoffentlich noch lange nicht. Übrigens auch nicht in Leipzig, das einige nun als Ersatzstandort vorschlagen, weil es dort noch freie Stellen gibt. Die deutsch-deutsche Auseinandersetzung findet noch jeden Tag statt. Die Begegnung auch. In der Politik, am Arbeitsplatz, in den Universitäten. Albern sind die ersten Entwürfe, die, nun ja, Studenten, in einem Ideenwettbewerb vorgelegt haben. Irgendwelche Halbkreise und Stelen, die sich nahe kommen oder berühren. Auch Wasserspiele. In Deutschland berühren sich massenhaft reale Hände, kommen sich massenhaft reale Köpfe nahe, manchmal sogar sehr. Einheits-Wasserspiele gibt es jeden Sommer am Strand von Usedom.Die Bürgerbewegung braucht so etwas auch nicht. Ihr Ziel war nicht die Rumpelkammer der Geschichte. Sie wollte das, was heute ist, oder wollte genau das nicht. In beiden Fällen können die Bürgerbewegten dazu jetzt frei ihre Meinung äußern, und das wollten sie ganz bestimmt. Der Bundestag sollte seinen Antrag auf Wiedervorlage legen. Und zwar im Jahr 2089.

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