Brot, Tränen und Schnittblumen

Wer nie sein Brot mit Tränen aß: Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, Stunde null. Armut, Elend, Hunger. Die Macher der jungen Bundesrepublik suchen nach Wegen, die Not zu lindern. Der Staat gibt sich gönnerhaft: Getreidemühlen und Bäcker erhalten Zuschüsse, sie produzieren verbilligtes Arme-Leute-Brot (ein Kilo zu 50 Pfennig).

Der Hunger vergeht, die Subventions-Politik bleibt. Obwohl sich rasch herausstellt, dass ein Großteil der Vergünstigungen nicht bei denen landet, die sie am nötigsten brauchen. Das "Konsumbrot" schmeckt vor allem jenen, die vom keimenden Wirtschaftswunder profitieren. Und mancher Bäcker fälscht seine Bilanzen, um an die staatliche Knete zu kommen. Gelernt haben die Politiker aus dem ersten großen Subventions-Experiment nichts. Im Gegenteil. Seit fünf Jahrzehnten beschließen Regierung und Parlament munter immer neue Finanzhilfen. Die sind schnell umzusetzen undideal geeignet, das Wahlvolk zu besänftigen. Die zusätzliche Last, die allen Steuerzahlern aufgebrummt wird, bleibt zunächst unbemerkt. Heute wird fast alles, wird fast jeder subventioniert: sterbende Branchen wie Kohlebergbau genauso wie High-Tech-Unternehmen, Großunternehmen ebenso wie Ein-Mann-Betriebe; ob der Bürger ein eigenes Häuschen baut oder Miete zahlt, ob er ins Kino geht oder in den Zirkus, ob er Hundefutter, Schnittblumen oder eine Prothese kauft - der Staat ist als Mäzen dabei. Offiziell beläuft sich die Summe der Finanzhilfen, steuerlichen Erleichterungen und Marktordnungsausgaben auf knapp 60 Milliarden Euro. Wer "generelle Staatsaufgaben" wie die Sozialpolitik hinzuzählt, Leistungen für den Personennahverkehr, Krankenhäuser, Kindergärten oder den Sonderausgabenabzug für die Kirchensteuer, kommt auf fast 160 Milliarden Euro. Die genaue Summe kennt niemand, es gibt keine verlässliche Statistik. Umstritten sind daher nicht nur die Zahlen, sondern auch Theorien, wie dem Subventions-Wahnsinn beizukommen sei. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft behauptet beispielsweise: Würde alles gestrichen, könnten die Einkommenssteuersätze um fast zwei Drittel gesenkt werden. Verlockend. Das Grundübel wurzelt im verkarsteten System: Der Staat wässert nach dem Gießgannen-Prinzip. Päppelt zarte Pflänzchen, die in Zukunft vielleicht reichen Ertrag bringen. Düngt aber auch wucherndes Unkraut. Völliger Quatsch, dieser Wildwuchs, wettern Experten. Doch vor dem Subventionsabbau steht die Angst der Politiker. Angst vor einem Volk von 80 Millionen Lobbyisten, die allesamt auf die eine oder andere Weise vom staatlichen Geldsegen profitieren. Was tun in Zeiten leerer Kassen und gigantischer Schuldenberge? Die Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) empfehlen die Rasenmäher-Methode: flächendeckend mit der Mähmaschine über die blühenden Subventions-Landschaften fahren und einfach zehn Prozent vom sprießenden Grünzeug wegschnippeln. Vorteile: Einspar-Effekt (mindestens zehn Milliarden Euro) und geringe Gefahr, dass Wählergruppen aufheulen. Häuslebauer, Pendler, Bergleute - sie alle geben ein bisschen ab, keiner alles. Wirklich sinnvoll ist ein solcher Rundumschlag nicht. Weil alles über einen Kamm geschoren und gekürzt wird. Nützliches wie Überflüssiges. Es fehlt der Mut, Subventionen gezielt zu streichen: weg mit der Eigenheimzulage für gut verdienende Singles, weg mit der Pendlerpauschale für Kurzstrecken-Fahrer. Schwer durchsetzbar (Vorsicht, Wähler!) und mühsam: statt bequem den Rasenmäher anzuwerfen, gilt es, die Spitzhacke zu nehmen, in die Hände zu spucken, das Dickicht punktgenau zu lichten und nur die giftigen Schlingpflanzen mit Stumpf und Stiel auszubuddeln. Solche Plackerei scheuen viele Politiker. Zumal ihnen die Reife fehlt, Machterhalt und Parteiengezänk zumindest für einen Moment zu vergessen. Und ihre Wähler sind nicht bereit, sich von der Hängematten-Mentalität zu verabschieden. Bevor es Deutschland besser geht, muss es wohl erst schlimmer kommen. Wer nie sein Brot mit Tränen aß… p.reinhart@volksfreund.de

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